„Ohne Zweifel ein Mensch“ – Abschlussbericht erklärt Anomalien der Atacama-Mumie

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Die aufgrund ihres Fundortes in der Atacamawüste als „Ata“ bezeichnete, grade einmal knapp 13 Zentimeter große Trockenmumie.

Copyright/Quelle: Emery Smith, med.standford.edu, Nolan et al., Genome Research (2018)

Stanford (USA) – Bereits seit einigen Jahren sorgt eine gerade einmal knapp 13 Zentimeter große Trockenmumie, die 2002 in der chilenischen Atacamawüste gefunden wurde, für Rätselraten unter Laienforscher wie Wissenschaftlern – zeigt der humanoide Körper doch derart viele Sonderheiten und Abweichungen vom gewohnten menschlichen Erscheinungsbild auf, dass nicht zuletzt auch schon darüber spekuliert wurde, ob es sich um Leichnam eines Außerirdischen handeln könnte. Seit 2012 hat einer der führenden Humangenetiker, Prof. Dr. Garry Nolan von der Stanford University School of Medicine den Körper untersucht, und nun gemeinsam mit Kollegen seinen Abschlussbericht zur vollständigen Sequenzierung des Genoms der Mumie vorgelegt. Entgegen früheren Spekulationen fällt das Ergebnis eindeutig aus.

UPDATE, 23.3.2018, 09:00h: Der Artikel wurde um Nolans Erläuterung zu den verbleibenden 2 Prozent nicht mit dem bekannten Genom übereinstimmender DNA erweitert. Die Textstelle finden Sie rot markiert.

Nachdem der vermutlich im Jahr 2002 entdeckte Körper bereits 2005 in der Ausstellung „Unsolved Mysteries“ in Berlin gezeigt wurde, wurde er weltweit vor allem durch den UFO-Dokumentarfilm „Sirius“ von Steven Greer bekannt, über den der „Atacama Humnaoid“ dann dem Stanford-Genetiker Dr. Garry Nolan zu ersten Untersuchungen übergeben wurde (…GreWi berichtete ausführlich, s. Links u.).

Während zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Films die Arbeiten noch nicht abgeschlossen waren, sorgte der damalige Stand der Analysen zunächst dafür, dass dieser auch weiterhin im Ruf stand, der von Greer in seiner Sirius-Doku suggerierte Beweis für außerirdische Besucher auf der Erde sein zu können.

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Während an den Analysen nicht beteiligte Experten alleine anhand der verfügbaren Fotos in dem Körper das Resultat bekannter genetischer Mutationen, Missbildungen und Geburtsdefekten zu erkennen glaubten (…GreWi berichtete), zeigten sich Nolan und Kollegen ob dieser Aussagen kritisch und erklärte im Interview mit Grenzwissenschaft-Aktuell (GreWi): „Ich möchte aber nochmals sagen, dass basierend auf der angefertigten Sequenz, (das Atacama-Exemplar) keine genetischen Anomalien aufweist, die auf irgendeine bekannte Form von Progerie (überschnelles Altern im Kindesalter) hinweist. Und so mir bekannt ist, liegt etwa für das von einigen Experten angeführte Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom bislang keine bekannte Genetik vor.“

Besonders verwirrend war die zunächst anhand einer Knochenbegutachtung durch den anerkannten Experten für Skelettfehlbildungen, Dr. Ralph Lachman formulierte Einschätzung, dass das Wesen trotz seiner extrem geringen Körpergröße noch rund sechs Jahre gelebt zu haben schien.

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Video zum vorläufigen Stand der Untersuchungen an der Mumie im Rahmen des Dokumentarfilms „Sirius“
(Stand: Mai 2013)

Doch schon im GreWi-Interview im Juni 2013 erklärte Nolan zur Frage des vermeintlichen Alters der Atacama-Mumie zum Todeszeitpunkt folgendes:

„Meine erste Aussage im Film ist die, dass ich erkläre, dass dieses Wesen wahrscheinlich gegessen und gelebt hatte. Davon bin ich mittlerweile nicht mehr ganz so überzeugt. Dr. Lachman hat derartiges übrigens zu keiner Zeit so gesagt. Es wäre also falsch, ihn in diese Aussage einzubinden. Ich will es nochmals betonen: Die Absicht und die Grundlage der Dokumentation (Sirius) war der Ansatz, meine damaligen Spekulationen darzustellen – nicht meine Schlussfolgerungen. Selbst zum Zeitpunkt des letzten Interviews für „Sirius“ glaubten wir lediglich, dass die Knochen ein höheres Alter des Wesens nahe legten als seine (geringe) Größe dies zunächst Glauben machen kann.

Die Ergebnisse der Knochenbegutachtung ist bislang das einzige, was das besagte Alter (6-8 Jahre) nahe gelegt hatte. Der Umstand, dass eine Sache ‚etwas nahe legt‘ bedeutet aber noch nicht, dass sie diese auch ‚beweist‘. Der Umstand, dass die Epiphysenkerne 6-8 Jahre alt erscheinen, bedeutet also auch nicht, dass sie auch 6 bis 8 Jahre alt waren (als das Wesen starb). Dieser Umstand stellt nur die Frage in den Raum, „warum“ diese Knochen derart so aussehen, wie sie aussehen. Handelt e sich um ein Artefakt der Mumifizierung oder des Austrocknungsprozesses? Oder um eine neue, bislang gänzlich unbekannte Form der überschnellen Alterung? Ich weiß es nicht und ich bin mir sicher, dass wir es ohne eine ganze Menge weiterer Arbeit auch nicht erfahren werden. Ich bin mir manchmal sogar nicht ganz sicher, ob dieses Exemplar überhaupt die ganze Aufregung, Mühe und sorgsame Erforschung Wert ist.“


Copyright/Quelle: Emery Smith, med.standford.edu, Nolan et al., Genome Research (2018)

Dennoch unterzog Nolan gemeinsam mit Kollegen den Körper und die anhand der DNA-Analysen gewonnenen Daten einer umfassenden Analyse, deren Ergebnisse nun in Form eines Artikels im Fachjournal „Genome Research“ (DOI: ) publiziert wurden.

Wie Nolan gemeinsam mit dem Direktor des Institute for Computational Health Sciences an der University of California-San Francisco (UCSF), Prof. Dr. Atul Butte und Dr. Sanchita Bhattacharya (ebenfalls UCSF) berichtet, bereinigen die Analysen nun auch die letzten Zweifel an der vollständig menschlichen und damit irdischen Herkunft und Identität des Körpers, der offenbar von einer seltenen und bislang weder bekannten noch wissenschaftlich beschriebenen Kombination genetischer Mutationen betroffen war.

Dabei handelt es sich um Mutationen nicht nur in einem sondern gleich mehreren für die Knochenentwicklung verantwortlichen Gene, wie sie teilweise so noch nie zuvor beschrieben wurden.

„Wenn Mediziner Analysen von Patienten und ihre Familien durchführen, so suchen sie für gewöhnlich nach der einen, extrem seltenen oder ungewöhnlichen Mutation, die für eine Krankheit verantwortlich ist“, erläutert Butte. „In diesem Fall sind wir aber ziemlich sicher, dass hier gleich mehrere Dinge zugleich falsch gelaufen sind.“ Vor diesem Hintergrund geben die Autoren zu bedenken, dass die Suche nach einer einzigen Mutation oder auch nach bereits bekannten Mutationen für eine bestimmte Krankheit, Wissenschaftler davon abhalten könnten, auch nach anderen potentiellen genetischen Ursachen und damit einhergehend auch potentiellen Behandlungsmöglichkeiten zu suchen.

Für den federführenden Nolan lag und liegt die Faszination des Körpers nicht nur in dessen Abnormitäten, sondern auch in den sich um ihn rankenden Spekulationen und in dessen Greifbarkeit: „Man kann diesen Körper nicht anschauen, ohne davon fasziniert sein. Zu Beginn der Untersuchungen sagte ich mir: Um was auch immer es sich hier handelt, wenn es DNA hat, dann können wir es auch analysieren.“

Dr. Garry Nolan.
Copyright: G.Nolan, med.stanford.edu

In ihrem Bericht belegen Nolan und Kollegen nun, dass es sich bei dem Körper um das mumifizierte Skelett eines weiblichen Menschen, sehr wahrscheinlich das eines Fötus mit schweren genetischen Mutationen handelt. Die einem sechsjährigen Kind entsprechende Knochenstruktur war dabei ein erster Hinweis auf eine seltene Knochenalterungs-Krankheit.

„Auch der Umstand, dass die Mumie statt der üblichen 11 Rippenpaare nur 10 aufweist, kann anhand von Genumutationen erklärt werden, deren Ausprägung dann vielleicht auch noch von einer unvollständigen Knochenentwicklung verstärkt wurde“, so Nolan gegenüber GreWi-Herausgeber Andreas Müller.

„Für unsere Studie stellte der Körper auch eine interessante Übung in der Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Werkzeuge und Methoden dar, um zu sehen, was wir alles herausfinden können“, so Nolan und führt dazu weiter aus: „Phenotypus, die Symptome und die Größe dieses Mädchens sind extrem ungewöhnlich und die Analyse aller dieser rätselhaften und zudem alten Proben konnte uns einiges darüber beibringen, wie man mit die DNA heutiger Kinder noch besser analysieren kann.“

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass der Körper selbst rund 40 Jahre alt ist, weshalb die DNA auch noch größtenteils intakt ist. Während in ersten Analysen noch rund 8 Prozent der DNA keiner menschlichen DNA zugeordnet werden konnte – und so auch Spekulationen über eine zumindest teilweise außerirdische Herkunft genährt wurden, konnten Nolan und Kollegen mit Hilfe neuerer Analyseverfahren den Anteil bekannter DNA auf 98 Prozent steigern. „Diese verbleibenden 2 Prozent nicht übereinstimmender DNA sind bei der Sequenzierungen des menschlichen Genoms aber völlig normal“, erläutert Nolan diesen Umstand gegenüber GreWi. „Es handelt sich entweder um das Ergebnis schlechter Auslesungen oder gehört zu weiterhin unbeschriebenen DNA, wie sie auf sog. Inseln aus sich wiederholenden Sequenzen sitzt, und nur schwer ins Gesamtbild eingefügt werden kann. Es bedeutet aber nicht, dass es sich um Alien-DNA handelt. Es ist viel eher von rein mathematischer Bedeutung.“


Nahansicht des Oberkörpers der Ata-Mumie.

Copyright/Quelle: Emery Smith, med.standford.edu, Nolan et al., Genome Research (2018)

Weiter zeigen die Analysen, dass „Ata“ chilenischer Abstammung ist und Mutationen auf sieben Genen aufweist, die unabhängig voneinander oder auch in Kombination zu unterschiedlichen Knochendeformationen, Gesichtsfehlbildungen und skelettalen Fehlentwicklungen (skelettale Dysplasie) beitragen, die weitläufig als Minder- oder Zwergenwuchs bekannt ist. Gegenüber GreWi hebt Nolan zugleich aber hervor, dass die Genanalyse keine Mutationen für Progerie oder bekannte Formen des Minderwuchses ausweisen, wie sie zuvor von unbeteiligten „Experten“ lediglich anhand der Abbildungn der Mumie postuliert wurden.

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„Einige dieser Mutationen wurden, obwohl sie zwar teilweise schon zuvor als Auslöser von Krankheiten bekannt waren, noch nie zuvor mit Knochenfehlbildungen, Wachstums- und Entwicklungsstörungen assoziiert“, so Nolan gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) und hebt damit die Bedeutung der DNA-Analyse der Ata-Mumie auch über die reine Herkunftsbestimmung des vermeintlichen „Aliens“ hinaus hervor. „Diese neuen Mutationsvarianten nun zu kennen, könnte sich als sehr nützlich für die Identifizierung und Behandlung auch schon bekannter Mutationen erweisen.“

„Für uns ist das Ergebnis unserer Studie auch deshalb so wichtig, weil es zeigt, dass wir nie aufhören sollten, uns Fragen zu stellen und zu forschen, nur weil wir bereits glauben, ein Gen gefunden haben, das ein Symptom erklärt“, so Butte und Nolan abschließend. „Wie man sieht, könnte es multiple Vorgänge geben und es ist wichtig, eine umfassende Erklärung zu finden – gerade, da wir immer schneller auf die praktische Anwendung von Gen-Therapien zusteuern. Vielleicht können wir eines Tages zumindest einige dieser Störungen und Krankheiten heilen. Dann wollen wir aber auch sicher sein, dass wir die Mutationen auch wirklich kennen, nicht andere übersehen und genau wissen, was wir da tun.“

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