Saarbrücken (Deutschlands) – In diesen Tagen feiert die Wissenschaftswelt das 400. Jubiläum der Erfindung der ersten Mechanischen Rechenmaschine und damit auch ihren Erfinder, den Universalgelehrten und Kepler-Kollegen Wilhelm Schickard (1592–1635). Die Bundesregierung ehrt Schickard gar mit einer eigenen 20-Euro-Sammlermünze. Weniger bis gar nicht bekannt ist, dass der Tübinger Professor wohl mit Fug und Recht auch als erster akademischer UFO-Forscher der Geschichte betrachtet werden darf und sich schon damals durch sein Eintreten für eine möglichst genaue Beschreibung der von ihm selbst beobachteten „Wunderzeichen“ heftiger Kritik und Empörung seiner Kollegen aussetzte.
– Jahrelang als aber-gläubisches „Wunderzeichen“ metaphorisch weggedeutet, widmet sich der Journalist und Sachbuchautor (und GreWi-Hrsg.) Andreas Müller in seinem neuen Buch „Deutschlands historische UFO-Akten“ aktuell erstmals Schickards Beobachtungen im möglichen UFO-Kontext. Der folgende Artikel basiert auf Auszügen des dortigen Kapitels „Ereignis 18“ (S. 113 f.).
Zur Person Wilhelm Schickard
Neben seiner Lehrtätigkeit für Hebräisch an der Universität Tübingen beschäftigte sich Schickard auch mit der Astronomie. Er erfand 1623 ein Astroscopium (einen Papierkegel, in dessen Innerem der Sternenhimmel abgebildet war) und in seiner Schrift „Ephemeris Lunaris“ entwickelte er eine Theorie der Mondbahn, anhand derer die genauesten Ephemeriden seiner Zeit, also Positionswerte sich bewegender astronomischer Objekte, möglich wurden.
Hinzu war er der erste, der Meteorbahnen aus gleichzeitigen Beobachtungen von verschiedenen Standorten bestimmte (s.Abb.l.) .
Auch seine grafischen Methoden zur Berechnung von Finsternissen und für Rechnungen im Kopernikanischen System wurden von vielen Zeitgenossen verwendet.
Nicht zuletzt war Schickard aber auch ein begabter Mechaniker und konstruierter seine Instrumente vielfach selbst. Johannes Kepler nannte ihn in einem Brief deshalb auch einen „beidhändigen Philosophen“. 1623 baute er besagte erste Rechenmaschine. Mit dem von ihm als „Rechenuhr“ bezeichneten Apparat konnten bis zu sechsstellige Zahlen addiert und subtrahiert werden. Um komplexere Berechnungen wie Multiplikation und Division durchzuführen, waren sog. Napiersche Rechenstäbchen in Form von Zylindern darauf angebracht, die das kleine Einmaleins zur Unterstützung der Multiplikation auf der Addiermaschine enthielten.
1631 folgte Schickard dem Astronomieprofessor Michael Mästlin als dessen Nachfolger in Tübingen. Als überzeugter Anhänger des heliozentrischen Systems stand er mit Kepler in kollegialem wie vermutlich freundschaftlichem Austausch und erfand zur anschaulichen Darstellung des Sonnensystems das erste Handplanetarium, wie es auf seinem Porträt von 1631 (s. Titelabb.) abgebildet ist.
Die Sichtung
Nachdem Wilhelm Schickard zuvor jahrelange Erfahrung in astronomischen Beobachtungen und Berechnungen erlangt und als einer der Ersten die Höhe und Bahn eines Meteors anhand gleichzeitiger Beobachtungen von verschiedenen Standorten mittels trigonometrischer Berechnungen bestimmte, wurde der Tübinger Professor am 27. Januar 1630 selbst Zeuge einer Himmelserscheinung, die man heute als klassische UFO-Sichtung bezeichnen könnte, die dann aber im Verlauf der Beobachtung über mehrere Stunden hinweg immer kuriosere Züge annahm und sich zu einem der schon damals unter akademischen Zeitgenossen bezweifelten „Wunderzeichen“ entwickelte. Schickard hingegen war bemüht – nicht zuletzt, weil er selbst Augenzeuge der Erscheinungen wurde – seine Beobachtung so genau und wissenschaftlich, wie ihm damals irgend möglich, zu beschreiben.
So schreibt Wilhelm Schickard in seinem schon zwei Tage später, am 27. Januar 1630, gedruckt erschienenen Manuskript mit dem Titel „Beschreibung Des Wunder Zaichens […] Abends von 7. bi. zu 10. Uhr Vormittnachts / am haiteren Himmel / gegen Nord gesehen worden […]“ folgendes:
„Als ich eben meiner Gewohnheit nach/ an dem damals klaren Himmel / die Sternen contemplirt, unnd nach langer Sudostischer Beschawung / das Gesicht endtlich zum andern Laden underm Dach / gegen Nord West hinau. gewandt / da erzeigete sich ohnversehens / ein Schneweisse materi, welche ich nicht wohl ein Wolcken nennen kan / dieweil sie nicht so geflocket / noch am Rand herumb zersetzet war / wie das Natürliche Gewölck / sonder hüpsch glatt / und polit, (so villeicht zu dem Widerschein etwas geholffen) kans auch nicht füglich einen Dampff heissen / weil es sein gewisse beständige / und zwar zierliche oval figur oder Ay Gestalt gehabt / die Dünst aber sonsten unbest.ndiger Form hin und wider fladern: Zuge= schweigen / da. es an Helle unnd Schein all gewohnliche Wolcken weit ubertroffen / auch gar lauter und homogenischer Art war.“
Zusammengefasst beschreibt Schickard hier also die Sichtung einer hellleuchtend weißen ovalen bzw. Ei-förmigen Erscheinung am nördlichen Himmel, die sich deutlich durch ihre glatte, fast schon poliert wirkende Oberfläche von ihm bekannten Wolken unterscheidet. Nach einigen weiteren astronomischen Ausführungen, kehrt Schickard zur Beschreibung des Objekts zurück und berichtet über die Entwicklung des Phänomens „nach 7 Uhren“ weiter, wie sich zu dem „weißen Ei“ jetzt zwei weitere, nun zwar in drei weißen Schattierungen, aber weiterhin weißfarbene Erscheinungen bzw. Objekte hinzu gesellten, die Schickard, ganz in der Absicht, in der somit allgemein verständlichen Bilderwelt seiner Zeit zu bleiben, zur einen Seite als „wie ein umgestürzter Kessel“ und das Gegenüber als „wie ein ablanger, zu beiden Seiten abgeschliffener Wetzstein“ beschrieb. (Anm.: Im Buch unterlief Müller in der Übersetzung ins heutige Hochdeutsche hier leider ein Fehler, wenn es Meßstein statt Wetzstein heißt).
Diese flimmerten in einer Art, die jedoch nicht dem „hurtigen Zwinkern der Fixsterne“ entsprach, sondern die Erscheinungen immer wieder am Himmel erscheinen und verschwinden ließ, so dass es Schickard selbst nicht möglich war, genau zu bestimmen, „ob es ob es wahrhaftig vergangen oder sich nur verborgen“ hatte.
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In der weiteren Entwicklung des Himmelsschauspiels gesellten sich weitere, teils verschiedenfarbene „Lichter und oder Flecken“ zu dem „Ei“ hinzu und die Beobachtung entwickelte sich – offenbar über Stunden hinweg – zu einer der berühmt- und schon damals berüchtigten „Himmelsschlachten“, anhand derer die Zeugen zeitgenössisch ausgerüstete militärische Kämpfe und ganze Schlachten am Himmel zu beobachten glaubten. Zusätzlich zur Beobachtung vom 25. Januar, schildert Schickard in „Der Ander Theil“ seiner Schrift seine Beobachtung „Vom Stern bey Tag“ am darauffolgenden Tag, den der zeitgenössisch versierte Astronom keinem ihm bekannten Stern zuordnen konnte – nicht zuletzt, weil der „Stern“ zudem offenbar „wie ein Vöglein hefftig fort geflogen“.
Diese ganze Beobachtung und ausführliche Schilderung Schickards hier wiederzugeben, würde den Umfang und Rahmen dieses Buches sprengen. Tatsächlich umfasst schon Schickards eigenes Traktakt ganze 33 eng gedruckte Seiten.
Die besondere Qualität der Schilderung dieses Ereignisses begründet sich schon alleine durch die, wenn auch zeitgenössisch einzuordnende, astronomische und naturkundliche Beobachtungserfahrung des Zeugen selbst, der bis heute als einer der führenden Universalgelehrten seiner Zeit gilt. Es bleibt also uns Lesern und Leserinnen überlassen, ob wir der Unterscheidung zwischen bekannten Natur- und Astrophänomenen Schickards vertrauen und seiner Deutung als überweltliches „Wunderzeichen“ (und damit dann auch im Kontext moderner UFO-Phänomene) folgen, oder hier dem sonst so sorgfältigen aber zugleich auch göttlichen Prodigien gegenüber durchaus gläubig auftretenden Wissenschaftler im wissenschaftlich doch noch eher bescheidenen Kontext seiner Epoche misstrauen. So oder so, die Parallelen zu modernen UFO-Sichtungen sind deutlich vorhanden: Angefangen von allgemeinen Sichtungen eiförmiger oder ovaler UFOs, wie sie in der UFO-Literatur zahlreich beschrieben sind, bis ganz konkret hin zu den jüngsten Beobachtungen US-amerikanischer Navy-Piloten, die solche unidentifizierten Flugobjekte mit ihrer Bordsensorik detektierten, verfolgten und später als „Tic-Tac“-förmig beschrieben.
Wilhelm Schickard zwischen orthodoxer und heterodoxer Religion und Wissenschaft
Tatsächlich hatte Schickard zu Leb- und Lehrzeiten an der Universität Tübingen jedoch nicht nur Freunde, wurden ihm doch schon vom damaligen Establishment immer wieder heterodoxe religiöse Neigungen unterstellt. In seinem Beitrag zur Festschrift zum Zweiten Tübinger Schickard-Symposium Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard (Sigmaringen 1995) erläutert Ulrich Bubenheimer über Schickard im Kontext einer religiösen Subkultur die Auseinandersetzungen mit dem Tübinger Theologieprofessor Lukas Osiander dem Jüngeren (1571–1638, S. Abb. l.) folgendes.
„1630 drohte er (Osiander) mit Zensurmaßnahmen gegen eine in Druck befindliche Schrift Schickards, in der dieser zwei Himmelserscheinungen beschrieben und als Wunderzeichen gedeutet hatte. Schickard rettete den Druck mit ‚vorübergehend geheuchelter Demut‘ gegenüber Osiander, wie er an seinen Bruder schrieb. Osiander stießsich an Schickards Versuch, die Himmelerscheinungen prognostisch zu deuten. Osiander hatte sich schon 1621 in einer Schrift gegen die vielen Prophezeihungen und chiliastisch-apokalyptischen Zeitdeutungen gewandt. Ferner mußte die auch im Tübinger Kreis aktuelle Auffassung Schickards, Gott rede mit den Seinen zuweilen in Träumen, für die Tübinger Orthodoxie nach Spiritualismus riechen, zumal Schickard in diesem Zusammenhang den Gedanken aufgreift, zu prophetischen Deutungen geh.re eine höhere, oft nur den ‚einfältigen Idioten‘ geschenkte Inspiration. Osiander hatte Schickard vielleicht auch im Verdacht, er hänge esoterischer Zukunftsschau nach Art einer Cabbala artithmetica an, gegen die er (Osiander) 1621 polemisiert hatte. Dieser Verdacht konnte an dem mehrfach bekundeten Interesse Schickards an kabbalistischen Zahlenspekulation Nahrung finden. Osiander stellte 1621 die Cabbala arithmetica neben die Utopie der Rosenkreuzer. Der Vorwurf, Schickard halte sich zu rosenkreuzerischen Kreisen in Tübingen, wurde gegen ihn schon einige Jahre zuvor 1629 erhoben. […]“
Schickards Erben
Obwohl sich Schickards heterodoxe Tendenzen, sowohl was die Religion wie auch die Wissenschaft anbetrifft, sicherlich nicht alleine an seinem Faible für „Wunderzeichen“ festmachen lässt, so kann dennoch gesagt werden, dass sich die Kritik an seiner Person und Haltung an seiner Schrift über diese (u. a. hier diskutierte) Erscheinung und deren Beschreibung manifestierte und von seinen Gegenspielern öffentlichkeitswirksam genutzt wurde.
In dieser Frage offenbaren sich auch am Beispiel Wilhelm Schickard interessante Parallelen nicht nur zur Erscheinung und Ausformung moderner UFO/UAP-Ph.nomene und Sichtungen, sondern auch über den erschwerten Umgang heutiger orthodoxer Wissenschaftsvertreter mit Kollegen, die öffentlich für eine akademisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Unbekannten eintreten. Während es sicherlich eine Vielzahl von Forschenden gibt, die aufgrund eines öffentlich bekundeten Interesses für eine seriöse UFO-Forschung Gegenwind aus dem orthodoxen Wissenschaftsbetrieb zu spüren bekamen, seien an dieser Stelle nur kurz zwei berühmte Beispiele genannt:
Mitte der 1990-er Jahre sah sich der Harvard-Psychiater Dr. John E. Mack aufgrund seiner Arbeit mit dem Alien-Entführungsphänomen heftiger Kritik ausgesetzt. Dabei beschäftigte sich Mack, der an der renommierten Harvard Medical School t.tig war, mit Personen, die behaupteten, sie seien von nichtmenschlichen Wesen bzw. Außerirdischen in UFOs entführt und dort unter anderem medizinischen Untersuchungen ausgesetzt worden (Alien Abductions).
Nachdem Mack zu Beginn einen psychischen Defekt vermutete, wurden ihm jedoch seine Beobachtungen und Schlussfolgerung zum Verhängnis, laut derer bei einigen der Betroffenen eben keine Anzeichen für solche Störungen festzustellen waren. Schlussendich kam Mack zu dem Ergebnis, dass die Berichte ebenso wie die Erfahrungen zumindest subjektiv real seien, ohne jedoch daraus einen kausalen Beweis für die außerirdische Herkunft von UFOs abzuleiten. 1992 leitete er gemeinsam mit dem US-Physiker David E. Pritchard eine Konferenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zum Abduktionsphänomen und veröffentlichte deren Ergebnisse in dem viel beachtenen 610-seitigen Band Alien Discussions (Frankfurt am Main 1996) zusammengefasst wurden. Nicht zuletzt sein Buch über die Ergebnisse seiner Untersuchungen (Abduction: Human Encounters with Aliens, deutsche Ausgabe: Entführt von Außerirdischen), das schnell auf den 1. Platz der US-Bestsellerlisten kletterte, führte zu kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit.
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Zu deren Ergebnis fasst die deutschsprachige Wikipedia folgendes zusammen: „Während Betroffene und dem UFO-Phänomen und der Parapsychologie offen gegenüberstehende Personen positiv reagierten, lehnten vor allem die etablierten Wissenschaftler seine Schlussfolgerungen ab. Auch und gerade innerhalb der Harvard University stieß Macks Arbeit auf Ablehnung. Schon 1993 wurde ihm an der Harvard-Universität der Ig-Nobelpreis (von engl.: ignoble: unwürdig, schmachvoll, schändlich) verliehen. Nach der Veröffentlichung seines Buches wurde außerdem ein Verfahren gegen Mack eröffnet mit dem Ziel, ihn von seinen Posten zu entheben. Nach 14-monatiger Untersuchung wurden das Verfahren und alle Vorwürfe gegen Mack jedoch fallen gelassen: Es konnten ihm keine fachlichen Fehler oder Verstöße gegen die ethisch-moralischen Prinzipien Harvards nachgewiesen werden.“
Auch der Harvard-Astronom Prof. Avi Loeb sieht sich derzeit am Ende einer jahrzehntelangen akademischen Karriere mit über 1.000 wissenschaftlichen Publikationen aufgrund seiner Vermutungen harscher Kritik aus der orthodoxen Wissenschaftsgemeinde ausgesetzt, dass es sich bei dem 2020 entdeckten interstellaren Objekt mit der Bezeichnung ‚Oumuamua nicht um einen natürlichen Kometen oder Asteroiden, sondern um ein technisches Artefakt einer fernen Zivilisation handeln könnte. Auch seine Bemühungen, im Rahmen des von ihm an der Harvard University initiierten „Galileo Projects“ nach UFOs am Himmel und außerirdischen Sonden im Sonnensystem zu suchen, bringt ihm bis heute nicht nur Beachtung sondern oft auch heftige Kritik bis Spott der orthodoxen Astronomie-Gemeinde und Leitmedien ein.
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