Quantencomputer-Experiment kehrt die Zeit um
Moskau (Russland) – Mit Hilfe eines Quantencomputers ist Physikern offenbar das Unmögliche gelungen: Für wenige Sekundenbruchteile haben sie Quantenbits dazu gebracht, sich Rückwärts zum eigentlich vorwärts verlaufenden Zeitstrahl der Thermodynamik zu entwickeln.
Wie das Team um Gordey Lesovik vom Moskauer Institut für Physik und Technologie in (MIPT) gemeinsam mit Kollegen aus der Schweiz und den USA aktuell im Fachjournal „Scientific Reports“ (DOI: 10.1038/s41598-019-40765-6) berichtet, nahmen die sogenannten Qubits dabei nicht wie gewohnt chaotische Zustände an, sondern sprangen auf ihren ursprünglich geordneten Ausgangszustand zurück.
„Bei diesen Artikel handelt es sich um einen von mehreren Untersuchungen über Möglichkeiten das zweite Gesetz der Thermodynamik zu auszuhebeln“, erläutert Lesovik und führt dazu weiter aus: „Dieses Gesetz ist eng mit der Vorstellung des Zeitstrahls verbunden, der sich demnach lediglich in einer Richtung – aus der Vergangenheit Richtung Zukunft bewegen sollte.“ In ihren Experimenten haben die Physiker nun künstlich einen Quantenzustand erzeugt, der sich gegen diesen „thermodynamischen Zeitstrahl“ entwickelt hatte.
Am Beispiel eines Billard-Spiels erläutern Lesovik und Kollegen das Prinzip:
„Die meisten physikalischen Gesetze unterscheiden nicht zwischen Zukunft und Vergangenheit. Wenn wir also etwa mittels einer Gleichung die Kollision zweier identischer Billardkugeln beschreiben, können wir eine Videoaufzeichnung des Vorgangs vorwärts wie rückwärts abspielen und das ganze dennoch mit der gleichen Gleichung beschreiben. Anhand der Aufnahmen wäre dann aber nicht zu erkennen, ob das Band vor- oder rückwärts läuft und beide Versionen erschienen plausibel. Es hätte den Anschein, als würden sich die Billardkugeln unseren intuitiven Sinn von Zeit wiedersetzen.
Wenn wir uns nun aber eine solche Aufnahme vom ersten Stoß eines Billardspiels betrachten, bei dem die Spielkugel die Kugelpyramide in alle Richtungen zersprengt, ist es hingegen leicht Ursache und Wirkung und damit auch die Zeitrichtung zu bestimmen – ganz gleich, in welcher Richtung die Aufnahme abgespielt wird.“
Da das Gesetz der Thermodynamik auch die Zeit beeinflusst, gilt ihre Umkehr eigentlich als unmöglich. Hierzu berufen sich die Wissenschaftler nun jedoch auf frühere Experimente und theoretische Überlegungen, wonach dies zumindest innerhalb eines extrem eingeschränkten Zeitintervalls doch möglich sein könnte.
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In einem Gedankenexperiment beschreiben die Forscher zunächst das Bild eines isoliert im interstellaren Raum treibenden einzelnen Elektrons, dessen Position beschrieben und damit bekannt ist. Basierend auf „Schrödingers Gesetz“ nimmt allerdings mit fortschreitender Zeit auch die Unschärfe dieses Zustands zu, da der Raum, in dem sich das Elektron befindet größer wird, wodurch die Positionsangabe immer schwieriger wird und die Unordnung im Systems ansteigt.
„Aber Schrödingers Gleichung ist umkehrbar“, erläutert Valerii Vinokur vom Argonne National Laboratory und einer der Mitautoren des Fachartikels. „Bei einer bestimmten mathematischen Transformation, der sog. komplexen Konjugation, kann die Gleichung deshalb beschreiben, wie sich das so unscharf gewordene Elektron wieder auf einen lokalisierten Punkt zurückzieht.“
Um jedoch einen derartigen Vorgang zu beobachten, müsste man das System über die gesamte Lebensdauer des Universums hinweg beobachten und selbst dann würde das untersuchte Elektron nur eine zehn Milliardstel Sekunde in die Vergangenheit zurückspringen.
Mit Hilfe des IBM-Quantencomputers haben die Wissenschaftler die Zeitumkehr nun aber dennoch direkt herbeiführen und beobachten können. Hierzu wurde zunächst der Zustand zweier und dreier Qubits, also Quantenbits, auf „0“ gesetzt – vergleichbar also mit dem Elektron des vorangegangenen Gedankenexperiments. In der Folge setzte eine zunehmende Unordnung ein, als die Quantenbits chaotisch ihren Zustand zwischen „0“ und „1“ wechselten. Beschleunigt wurde der Prozess durch ein Programm, das den Einfluss der Thermodynamik simulierte, woraufhin die beschriebene komplexe Konjunktion und ein erneuter Durchlauf des Thermodnyanik-Programms startete.
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Tatsächlich zeigte sich in 50-85 Prozent der Versuche, dass die Qubits nicht – wie von der Thermodynamik vorhergesagt – in ungeordnete Zustände, sondern für einen Sekundenbruchteil in ihren geordneten Ausganszustand „0“ versetzt wurden.
Zurück am bildhaften Billardtisch entspräche dieser Vorgang dann dem extrem unwahrscheinlichen Szenario, in dem ein Tritt gegen den Billardtisch dazu führt, dass sich die vom ersten Stoß chaotisch verteilten Kugeln, wieder zur Ausgangspyramidenform anordnen würden.
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