London (Großbritannien) – Schon eine Milliarde Jahre früher als bislang gedacht, könnten irdische Mikroben Sauerstoff-produzierende Photosynthese – die sog. Sauerstoffsynthese – betrieben haben. Die Entdeckung könnte unsere Vorstellungen davon, wie und wann sich komplexes Leben auf der Erde entwickelt hat grundsätzlich verändern und uns zudem zeigen, wie es auf anderen Planeten entstanden und sich entwickelt haben könnte.
Hintergrund
Sauerstoff in der Erdatmosphäre gilt als eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass komplexe Lebensformen entstehen und gedeihen konnten – Lebensformen, die den Sauerstoff mittels sog. aerobe Atmung in Energie verwandeln.Vor rund 2,4 Milliarden Jahren kam es zu einem dramatischen Sauerstoffanstieg in der damaligen Atmosphäre – warum dies jedoch geschah, gilt auch unter Wissenschaftlern als unklar. Während einige Forscher glauben, dass vor 2,4 Milliarden Jahren die ersten Cyanobakterien entstanden, die erstmals Sauerstoff-produzierende Photosynthese nutzen, glauben andere, dass Cyanobakterien schon sehr viel früher entstanden waren, dass aber irgendetwas den Sauerstoff davon abhielt, sich in der Atmosphäre anzusammeln.
Cyanobakterien nutzen eine vergleichsweise komplexe Form der Sauerstoff-Photosynthese – die gleiche, die auch alle Pflanzen nutzen. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass einfachere Formen schon vor dem Erscheinen der Cyanobakterien existiert haben und so zu jenem Anteil führten, der später komplexen Lebensformen zur Verfügung standen.
Wie Forscher um Dr. Tanai Cardona vom Londoner Imperial College aktuell im Fachjournal „Geobiology“ (DOI: 10.1111/gbi.12322) berichten, sei die Sauerstoffsynthese schon mindestens eine Milliarde Jahre älter als die Cyanobakterien selbst und könnte sogar schon auf der frühen Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren entstanden sein.
„Wir wissen, dass Cyanobakterien schon sehr alt sind, aber wir wissen nicht genau, wie alt“, erläutert Cardona. „Wenn sie zum Beispiel 2,5 Milliarden Jahre alt sind, so könnte die Sauerstoffsynthese bereits vor 3,5 Milliarden Jahren eingesetzt haben. Das wiederum legt nahe, dass es nach der Entstehung des (einfachen) Lebens selbst nicht – wie bislang gedacht – Milliarden von Jahren dauert, bis ein Prozess wie die Sauerstoffsynthese entsteht (der komplexe Lebensformen möglich macht). Sollte die Sauerstoffsynthese also tatsächlich derart früh entstanden sein, so könnte dies bedeuten, dass es sich dabei um einen vergleichsweise einfachen Vorgang handelt. Die Wahrscheinlichkeit der Entstehung komplexen Lebens, wäre dann auch auf fernen Planeten relativ hoch.“
Tatsächlich ist es jedoch relativ schwer, die Entstehung der ersten sauerstoffsynthetisierenden Organismen etwa anhand der fossilen Aufzeichnungen zu bestimmen. Der Grund: Je älter die Gesteine und Felsen sind, je seltener sind sie auch und es ist demnach entsprechen schwerer zu beweisen, dass jegliche fossilen Mikroben, die darin gefunden werden, auch tatsächlich Sauerstoff produziert haben.
Die Forscher um Cardona untersuchten deshalb die Evolutionsgeschichte zweier an der Sauerstoffsynthese hauptsächlich beteiligter Proteine.
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In der ersten Phase der Photosynthese, nutzen Cyanobakterien Lichtenergie um mit Hilfe des als „Photosystem II. bezeichneten Proteinkomplexes “Wasser in Protonen, Elektronen und Sauerstoff aufzuspalten. Photosystem II besteht wiederum aus den beiden als „D1“ und „D2“ bezeichneten Proteinen. Ursprünglich waren diese beiden Proteine gleich, doch obwohl sie ähnliche Strukturen aufweisen, unterscheidet sich heute ihre genetische Sequenz voneinander: „Das zeigt, dass D1 und D2 sich unterschiedlich und unabhängig voneinander entwickelt haben. In Cyanobakterien und Pflanzen teilen sie gerade einmal 30 Prozent ihrer Gensequenz. Aber schon in ihrer ursprünglichen Form wären D1 und D2 dazu in der Lage gewesen, Sauerstoffsynthese zu ermöglichen. Wenn wir also wissen, wie lange diese beiden Proteine schon nahezu identisch sind, könnte uns das aufzeigen, wann sich diese Fähigkeit (der Sauerstoffsynthese) erstmals entwickelt hatte.“
Um den Zeitpunkt herauszufinden, seit dem die beiden Proteine nicht mehr, bzw. nur noch zu etwa 30 Prozent identisch sind, bestimmten die Forscher, wie schnell sich die Proteine verändern – also ihre Evolutionsrate.
Anhand aussagekräftiger statistischer Methoden und bekannter Ereignisse innerhalb der Evolution der Photosynthese fanden die Wissenschaftler heraus, dass sich die beiden Proteine (D1 und D2) innerhalb von Photosystem II extrem langsam entwickelt haben – sogar noch langsamer als einige der ältesten in der Biologie bekannten Proteine, wie sie schon in den frühesten bekannten Lebensformen zu finden sind.
Auf dieser Grundlage berechneten die Forscher dann jene Zeit, zwischen den Übereinstimmenden Proteinen D1 und D2 und den nur noch 30-prozentigen Übereinstimmungen und entdeckten, dass diese von mindestens einer Milliarden Jahren – oder sogar mehr – getrennt sind.
„Bislang gingen wir davon aus, dass das Erscheinen der Sauerstoffsynthese und jenes der Cyanobakterien miteinander einhergingen. Um also herauszufinden, wann Sauerstoff zum ersten Mal produziert wurde, haben Forscher bislang versucht herauszufinden, wann die ersten Cyanobakterien entstanden sind“, kommentiert die Hauptautorin und führt dazu weiter aus: „Unsere Studie zeigte nun aber, dass die Sauerstoffsynthese vermutlich lange vor den Vorfahren der Cyanobatkterien begann. Dies stimmt auch mit den neuesten geologischen Daten überein, die nahe legen, dass Sauerstoffbrisen und lokale Ansammlungen von Sauerstoff schon vor mehr als drei Milliarden Jahren möglich waren.
Aus diesem Grund, scheinen der Ursprung der Sauerstoffsynthese und das Entstehen der Vorfahren der Cyanobakterien also zwei voneinander unabhängige Ereignisse zu sein: „Es könnte sogar eine sehr große (zeitliche) Lücke zwischen den beiden geben und das könnte eine gewaltige Veränderung unserer Perspektive auf alle damit einhergehenden Fragen erfordern.“
In nächsten Schritten wollen die Wissenschaftler nun jenes Photosystem rekonstruieren, wie es noch vor D1 und D2 aussah und sich ursprünglich entwickelt hatte. Mit Hilfe von verschiedenen Variationen von über sämtliche heute lebende Arten verteilter photosystemischer Gencodes erhoffen sich die Forscher, den Gencode-Urahn des Photosystems rekonstruieren zu können.
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