Sonnengaben: Rätsel um Bornholmer „Sonnensteine“ gelöst
Kopenhagen (Dänemark) – Vor rund 5.000 Jahren vergruben die damaligen Bewohner der Ostseeinsel Bornholm Hunderte, mit feinen Sonnen- und Feldmotiven verzierte, meist runde Steine, sogenannte Sonnensteine. Klimawissenschaftler können nun zeigen, dass diese Ritualgaben vermutlich mit einem großen Vulkanausbruch zusammenfielen, der die Sonne in ganz Nordeuropa verschwinden ließ.
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Wie das Team um den Archäologe Rune Iversen von der Universität Kopenhagen, dem Museum Bornholm und dem dänischen Nationalmuseum aktuell im Fachjournal „Antiquty“ (DOI: 10.15184/aqy.2024.217) berichtet, haben Vulkanausbrüche im Laufe der Geschichte immer wieder schwerwiegende Folgen für menschliche Gesellschaften mit sich gebracht: kaltes Wetter, Sonnenmangel und geringe Ernteerträge. So schleuderte etwa im Jahr 43 v. Chr., als ein Vulkan in Alaska große Mengen Schwefel in die Stratosphäre. In der Folge fielen in den darauffolgenden Jahren die Ernten in den Mittelmeerländern aus, was zu Hungersnöten und Krankheiten führte. Überliefert ist dies in schriftlichen Quellen aus dem antiken Griechenland und Rom.
Obwohl aus dem Neolithikum, also der Jungsteinzeit, keine schriftlichen Quellen vorliegen, ist es Klimawissenschaftlern vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen nun anhand von Eisbohrkernen aus dem grönländischen Eisschild nachgewiesen, dass um 2.900 v. Chr. ein ähnlicher Vulkanausbruch stattfand. „Ein Ausbruch, der ebenso verheerende Folgen für die neolithischen Völker gehabt haben muss, die zu dieser Zeit in Nordeuropa lebten und stark von der Landwirtschaft abhängig waren.“
Nachweis von Vulkanausbruch führt zu Neubewertung der Sonnensteine
„Wir wissen schon lange, dass die Sonne im Mittelpunkt der frühen Agrarkulturen in Nordeuropa stand. Sie bewirtschafteten das Land und waren darauf angewiesen, dass die Sonne die Ernte einbrachte. Wenn die Sonne aufgrund von Nebel in der Stratosphäre über längere Zeit fast verschwand, muss das für sie äußerst beängstigend gewesen sein“, erläutert Iversen. „Ein Fundtyp, der für Bornholm völlig einzigartig ist, sind die sogenannten Sonnensteine, flache Schieferstücke mit eingravierten Mustern und Sonnenmotiven. Sie symbolisierten Fruchtbarkeit und wurden wahrscheinlich geopfert, um Sonne und Wachstum zu sichern. Sonnensteine wurden in großer Zahl an der Weststätte von Vasagård gefunden, wo die Bewohner sie in Gräben deponierten, die Teil einer Wegeinfriedung bildeten, zusammen mit den Überresten ritueller Feste in Form von Tierknochen, zerbrochenen Tongefäßen und Feuersteinobjekten um 2.900 v. Chr. Die Gräben wurden anschließend geschlossen.“
Die Forschenden um Iversen gehen nun davon aus, dass das „Opfer“ der Sonnensteine vermutlich in einen Zusammenhang zwischen dem Vulkanausbruch, den darauffolgenden Klimaveränderungen steht. „Vermutlich wollten sich die neolithischen Menschen auf Bornholm sich vor einer weiteren Verschlechterung des Klimas schützen wollten, indem sie Sonnensteine opferten – oder sie wollten sie ihre Dankbarkeit zeigen, als die Sonne nach der Katastrophe wieder zurückgekehrt war.“
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Neben der akuten Klimaverschlechterung um 2.900 v. Chr. litten die neolithischen Kulturen Nordeuropas zusätzlich unter anderen Katastrophen: Neue DNA-Studien an menschlichen Knochen haben gezeigt, dass unter anderem auch die Pest sehr weit verbreitet und tödlich war.
Naturkatastrophen und Krankheiten bringen Wandel in Traditionen
In der gleichen Zeit, in der die neolithischen Menschen sowohl von Klimaveränderungen als auch von Krankheiten betroffen waren, können Archäologen auch einen Wandel in den Traditionen dokumentieren, an denen sie lange festgehalten hatten: Die sogenannte Trichterbecherkultur, die bis etwa 5.000 Jahre vor heute mit ihrer charakteristischen Keramik und den Ganggräbern vorherrschend war, verschwand allmählich.
„An der Wegeinfriedung, die wir auf Bornholm ausgegraben haben, können wir auch sehen, dass die Bewohner, nachdem sie die Sonnensteine geopfert hatten, die Struktur der Stätte veränderten, indem sie anstelle von Opfergräben umfangreiche Palisadenreihen und kreisförmige Kultstätten errichteten. Wir wissen nicht warum, aber es ist vernünftig zu glauben, dass die dramatischen Klimaveränderungen, denen sie ausgesetzt waren, in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt haben könnten“, schließt Rune Iversen.
Sonnensteine werden in Kopenhagen ausgestellt
Vier der Sonnensteine aus Vasagård auf Bornholm können ab dem 28. Januar in der prähistorischen Ausstellung im Nationalmuseum von Dänemark in Kopenhagen besichtigt werden (s. Titelabb.). Die Exponate stammten wahrscheinlich aus einer der frühesten Deponierungspraktiken im Zusammenhang mit einem neolithischen Sonnenkult in Südskandinavien, der auch aus der nordischen Bronzezeit mit Objekten wie dem bekannten Sonnenwagen bekannt ist.
„Die Bornholmer Sonnensteine sind völlig einzigartig, auch im europäischen Kontext. Am nächsten kommen wir einem ähnlichen Sonnenkult im Neolithikum bei einigen Ganggräbern in Südskandinavien oder Henge-Strukturen wie Stonehenge in England, die einige Forscher mit der Sonne in Verbindung bringen. Bei den Sonnensteinen gibt es für mich keinen Zweifel. Es ist einfach eine unglaubliche Entdeckung, die zeigt, dass Opferungen zu Ehren der Sonne ein altes Phänomen sind, dem wir im südlichen Skandinavien während der Klimakatastrophe begegnen, die durch einen Vulkanausbruch im Jahr 536 n. Chr. verursacht wurde, bei dem mehrere große Goldschätze als Opfergaben deponiert wurden“, sagt Lasse Vilien Sørensen, leitender Forscher am Nationalmuseum von Dänemark und Mitautor des Forschungsberichts abschließend.
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Recherchequelle: Københavns Universitet
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