Stanford-Studie offenbart kultur- und religionsübergreifende Gemeinsamkeiten beim Stimmenhören
Stanford (USA) – Berichten Betroffene heutzutage, dass sie fremde und nicht an eine andere Person direkt gebundene Stimmen hören, werden sie schnell als „verrückt“ abgestempelt. Eine aktuelle Studie zeigt nun aber, dass das „Stimmenhören“ in der Realität nicht zwangsläufig mit psychischen Erkrankungen verbunden ist und Stimmenhörer oft weder pathologische Not noch Kontakt zu psychiatrischen Diensten haben. Zudem zeigen die Untersuchungen an der Stanford University interessante Gemeinsamkeiten angesichts des Phänomens auf, die weder kulturell noch religiösen begründet scheinen.
Wie das Team um Tanya Marie Luhrmann von der Stanford University aktuell im Fachjournal „PNAS“ (DOI. 10.1073/pnas.2016649118) berichtet, könne die Frage, warum einige Menschen vermeintlich jenseitige oder übernatürliche Stimmen hören, andere aber nicht, mit zwei Faktoren zusammenhängen: „Absorption“ und „Porosität“, also Eigenschaften, die beide unsere Überzeugungen und Erfahrungen über die möglichen Interaktion des geistigen Verstandes mit der ohysischen Welt betreffen.
In ihrer Studie haben Luhrmann, Kolleginnen und Kollegen anhand von Gruppen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Kulturen untersucht, wie besagte Porosität und Absorption verschiedene Arten spiritueller Erfahrung ermöglichen könnten.
Hintergrund
Als „Absorption“ wird eine Persönlichkeitseigenschaft oder ein Gefühlszustand bezeichnet, der sich durch Offenheit gegenüber emotionalen und geistigen Änderungen auszeichnet. Die Absorptionsfähigkeit eines Menschen kann im Alltag unter anderem am Ausmaß der Gefühle, die durch Medien, wie Bücher, Musik oder Filme ausgelöst werden, beobachtet werden. Während Absorption in der Regel mit positiven Emotionen assoziiert wird, gibt es aber auch Hinweise, dass Absorption auch mit negativen Emotionen in Verbindung steht, wie Unausgeglichenheit, Häufigkeit von Albträumen oder Ängstlichkeit. Menschen mit einer erhöhten Absorptionsfähigkeit oder korrelierenden Persönlichkeitseigenschaften können sich in der Regel häufiger an Träume erinnern als jene, die diese Persönlichkeitseigenschaften nicht besitzen.
Als „Porosität“ bezeichnet die Psychologie die Tendenz zu Vorstellungen, laut derer die Grenze zwischen Geist und der physischen Welt durchlässig ist – dass etwa Emotionen „in einem Raum verweilen“ oder auch, dass manche Menschen Gedanken lesen können. Poröse Ansichten stehen damit im Gegensatz zu der eher weltlichen Vorstellung, dass der Geist ein diskreter Raum ist, der von der Welt getrennt ist.
Hierzu untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie diese beiden Faktoren mit spirituellen Erfahrungen unter Teilnehmern aus den USA, Ghana, Thailand, Vanuatu und China zusammenhängen. Die beteiligten Religionen reichten vom evangelikalen Christentum über Methodismus und Buddhismus bis hin zu alten Praktiken in Vanuatu.
In einer ersten Untersuchung nahmen 300 Erwachsene mit starken religiösen Überzeugungen, entweder evangelikale Christen oder Mitglieder einer lokal relevanten Religion, an zwei eingehenden Interviews teil, die von wissenschaftlichen Mitarbeitern vor Ort – etwa in Kirchen, Schreinen und Tempeln – durchgeführt wurden. Zum einen ging es dabei um Erfahrung von Ereignissen, in denen die Befragten eine spirituelle Präsenz gefühlt hatten. Zum anderen wurde untersucht, welche Vorstellungen die Menschen vom Konzept des menschlichen Geistes hatten.
In einer zweiten Befragung untersuchten die Forscher den Glauben an Porosität und Absorption. Hierzu wurden den Teilnehmern kurze Geschichten vorgestellt, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf die Grenze zwischen Geist und Welt hatten. Danach wurden sie befragt, wie sehr sie glaubten, dass ein solches Ereignis eintreten könnte (…etwa die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Person körperlich unwohl fühlt, weil ein Freund wütend auf sie ist).
Zur Absorption gaben die Teilnehmer an, wie sehr sie Aussagen wie beispielsweise „Wenn ich Musik höre, kann ich mich so darauf einlassen, dass ich nichts anderes bemerke“ zustimmten.
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In einer zweiten Untersuchung wiederholten die Forschenden diese Methoden mit 766 Erwachsenen aus der allgemeinen Bevölkerung aus den beteiligten Ländern, darunter 236 evangelikalen Christen, die auch danach gefragt wurden, inwieweit sie bestimmten Aussagen in Bezug auf Porosität zustimmten (z. B. „Geister können unsere Gedanken lesen und auf sie einwirken, selbst wenn wir diese nicht laut aussprechen.”).
Die Befragungen in beiden Studien führten zu Berichten über sensorische Erfahrungen mit jenseitigen Wesen. Während christliche Teilnehmer davon berichteten, dass sie die „Gegenwart Gottes“ fühlten, berichtete etwa eine thailändische buddhistische Teilnehmerin – eine Krankenschwester – von Erfahrungen mir geisterhaften Gestalten in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet.
Zu den Ergebnissen erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sich die Erfahrungen zwischen den unterschiedlichen Kulturen zwar unterschieden, dass aber Porosität und Absorption klare Prädiktoren (Variablen zur Vorhersage von Merkmalen und Eigenschaften) für Erfahrungen mit spirituellen Präsenzen in verschiedenen Religionen seien.
In einer dritten Untersuchung absolvierten 505 Teilnehmer aus allen beteiligten Ländern, die alle in Städten ansässig waren, die beiden in früheren Studien verwendeten Befragungen zur Porosität und Absorption sowie die auch schon zuvor gestellten Befragungen zu Erfahrungen mit spirituellen Präsenzen. Hinzu wurde diese Gruppe zu „weltlichen“ bzw. nicht-spirituellen halluzinationsähnlichen Erfahrungen (Bsp: „Ich höre das Telefon klingeln, merke dann aber, dass das gar nicht so war.“) ebenso befragt, wie zu paranormalen Überzeugungen die (z. B. „Ich bin völlig davon überzeugt, dass unmöglich möglich / unmöglich ist eine „mentale Nachricht“ an eine andere Person zu senden.“).
Auch hier zeigten die Ergebnisse, dass anhand höherer Absorptions- und Porositätsniveaus wahrscheinliche spirtuelle Erlebnisse vorausgesagt werden konnten.
Interessanterweise war dies jedoch auch bei weltlichen Ereignissen der Fall – zum Beispiel beim Klingeln des Telefons, das gar nicht klingelte oder beim Hören von Musik, die gar nicht lief. „Dieser Umstand deutet darauf hin, dass Porosität und Absorption auch außerhalb religiöser Kontexte Auswirkungen auf ungewöhnliche Sinneserfahrungen haben können“, berichten die Forschenden.
Für die Autoren und Autorinnen der Studie liefern deren Ergebnisse weitere Belege für die Notwendigkeit der Offenheit gegenüber ungewöhnlichen Sinneserfahrungen.
Zum Thema
Die Studie offenbare sowohl weltliche als auch religiöse Erfahrungen, wobei viele Teilnehmer nicht nur Angst hatten, sondern während dieser Erlebnisse auch aktiv friedlich oder ruhig waren, wie das Beispiel der buddhistischen Krankenschwester zeige. Auch christliche Teilnehmer sprachen auch über die tröstliche Erfahrung der „Gegenwart Gottes“.
Abschließend zeigen sich die Forschenden überzeugt davon, dass ihre Studie nahelegt, dass ungewöhnliche sensorische Erfahrungen auch bei Menschen häufig sind, die nicht an einer psychischen Erkrankung leiden. Studien wie diese können also unser Verständnis der Natur und Häufigkeit ungewöhnlicher Sinneserfahrungen erweitern und damit auch dazu beitragen, das gesellschaftliche Stigma, dass derartigen Erlebnissen immer noch anhaftet, abzubauen, hoffen die Forscherinnen und Forscher abschließend.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
GfA – Studie des Monats: Stimmenhören – ein psychisches Kontinuum 3. Juli 2018
Quellen: Stanford University, PNAS
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