Essen (Deutschland) – In einer aktuellen Studie zeigen Essener Mediziner, dass Patienten mit chronischen Rückenschmerzen auch von einer Therapie mit Placebos profitieren, obwohl die Studienteilnehmer wussten, dass sie ein Scheinmittel einnahmen.
Wie das Team um Dr. Julian Kleine-Borgmann vom Universitätsmedizin Essen aktuell im Fachjournal „Pain“ (DOI: 10.1097/j.pain.0000000000001683) berichtet, sei der schmerzlindernde Effekt der Placebos in etwa so hoch wie der eines NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatikums) und konstatieren: „Es lohnt sich, den Placeboeffekt in bestehende Therapiekonzepte einzubinden.“ Damit bestätigen die Essener Mediziner u.a. eine Studie von US-Ärzten von 2018 (…GreWi berichtete)
In ihren Untersuchungen wurden 127 Patienten, die Mindestens 12 Wochen lang unter Rückenschmerzen gelitten hatten, in zwei Gruppen unterteilt: „Die eine Gruppe (n=60) erhielt die gleiche Behandlung wie zuvor, die zweite (n=67) erhielt zusätzlich 21 Tage lang zweimal täglich ein Placebo. Vor Studienbeginn war allen Studienteilnehmern ein Video vorgeführt worden, das über den sogenannten Placeboeffekt und die neueste Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen Placebogabe informierte. Die Patienten waren also informiert, dass sie eine wirkstofffreie Substanz einnehmen. Den Patienten in der Vergleichsgruppe wurde versichert, dass sie nach Ablauf der Studie ebenfalls eine Placebo-Anwendung erhalten können. Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in Alter, Geschlecht und Schmerzintensität zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses, allerdings war der BMI in der Gruppe, die zusätzlich mit Placebo behandelt wurde, höher (28,18 vs. 25,72).“
Die Studie untersuchte zum einen die von den Patienten berichteten Behandlungserfahrungen wie Schmerzlinderung und funktionelle Beeinträchtigung im Alltag („patient reported outcomes“), aber auch objektive Kriterien wie die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Hinblick auf Bewegungsausmaß und -geschwindigkeit, die mit Sensoren auf der Wirbelsäule gemessen wurden. Als subjektiver Parameter stellte die Schmerzintensität den primären Endpunkt dar, sekundäre Endpunkte waren die schmerzbedingte Einschränkung, Depression, Angst und Stress, die mittels standardisierter Fragebögen erhoben wurden.
Das Ergebnis zeigte, dass die Gruppe, die mit Placebos behandelt worden war, eine signifikant stärkere Abnahme der Schmerzintensität aufwies (p=0,001), sich funktionell weniger eingeschränkt fühlte (p=0,02) und angab, weniger depressiv zu sein (p=0,01). Auch fragten die mit Placebo behandelten Patienten im Trend weniger häufig nach einer Notfallmedikation, also zusätzlichen Schmerzmitteln. Die objektiv erhobenen Parameter waren hingegen zwischen den Gruppen nicht unterschiedlich.
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Wie aber ist es zu erklären, dass Placebos das subjektive Befinden signifikant verbessern konnten, obwohl den Studienteilnehmern sogar klar war, dass sie Placebos, also völlig wirkstofffreie Kapseln, erhalten hatten?
Hierzu führen die Studienleiter führen an, dass die Mechanismen einer offenen Placebo-Anwendung noch nicht hinreichend erforscht sind: „Patienten könnten durch das Informationsvideo unbewusste positive Erwartungen im Hinblick auf das Placebo entwickelt haben, obwohl die gemessene Erwartung in der Placebo-Gruppe in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Schmerzlinderung stand.“
Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung sogenannter natürlicher Fluktuationen: „Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führen schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer ‚self-fulfilling prophecy‘ erfüllt werden, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.“
Kleine-Borgmann und Kollegen sind der Überzeugung, dass das therapeutische Potenzial von Placebos weiter untersucht werden sollte. Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der DGN, geht noch einen Schritt weiter: „Es lohnt sich, den Placeboeffekt stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubinden. Dazu gehört eine positive Darstellung des zu erwartenden Therapieerfolges.“ Der Mediziner hebt hervor, dass bei chronischen Schmerzerkrankungen die Psyche eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann: „Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffektes nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen. Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt, eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.“
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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie / Pain
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