Studie: Das Entlarven falscher Überzeugungen erfordert die Bekämpfung von Glaubenssystemen
Hanover (USA) – In der heutigen polarisierten Welt ist es wichtig zu verstehen, wie Überzeugungen entstehen und warum sie gegen Gegenbeweise resistent sein können, da die Ansichten zu Themen, die von Impfstoffen bis zum Klimawandel reichen, stark auseinandergehen. Um einen falschen Glauben zu entlarven, ist es möglicherweise besser, das Glaubenssystem einer Person ins Visier zu nehmen, als zu versuchen, den falschen Glauben selbst zu ändern. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine aktuelle verhaltenspsychologische Studie.
Wie das Team um Rotem Botvinik-Nezer und Prof. Tor Wager vom Cognitive and Affective Neuroscience Lab am Dartmouth College und Matt Jones von der University of Colorado Boulder aktuell im Fachjournal „Nature Human Behavior“ (DOI: 10.1038/s41562-023-01570-4) berichtet, wurde in der Studie untersucht, wie Menschen ihre Überzeugungen über Wahlbetrug nach der US-Präsidentschaftswahl 2020 selbst aktualisierten. „Menschen haben nicht nur eine einzige Überzeugung, sondern ein System miteinander verbundener Überzeugungen, die voneinander abhängen“, erläutert Botvinik-Nezer. „Dies hilft zu erklären, warum es wirklich schwierig ist, die Überzeugungen der Menschen über Wahlbetrug zu ändern, indem man ihnen lediglich Gegenbeweise vorlegt. Es braucht vielmehr oft überzeugende Beweise dafür, dass die Mehrheit ihren Kandidaten eben nicht bevorzugte, um so auch die anderen Überzeugungen anzusprechen, die ihr Glaubenssystem verankern.
Die Mitglieder des Forschungsteams hatten zuvor lange Zeit Placebo-Effekte untersucht – Behandlungen also, die aufgrund der Kraft des Geistes zu heilenden Ergebnissen führen können, obwohl sie keinen therapeutischen Nutzen haben (etwa die Gabe von Pillen ohne Wirkstoff unter der Informationsangabe, dass es sich um wirkliche Präparate handeln würde). Vor diesem Hintergrund stellte sich den Forschenden dann auch die Frage, wie sich Überzeugungen bilden und sie interessierten sich für die breitere Sichtweise, wie Überzeugungen entstehen und wie sie angesichts wichtiger Situationen und Ereignisse aktualisiert werden.
Hierzu wählten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Überzeugungen über einen Wahlbetrug rund um den US-Präsidentschaftswahlkampf 2020 und befragten am 4. November 2020 mehr als 1.600 US-Amerikaner – zu einer Zeit also, während in sechs Schlüsselstaaten noch die Stimmen ausgezählt wurden.
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Die Befragten gaben ihre Parteipräferenzen an und wurden auf der Grundlage hypothetischer Wahlergebnisse auf Betrugsüberzeugungen untersucht. Hierzu wurden die Teilnehmer gebeten, um die Beantwortung folgender Fragen anzugeben:
a) Wer der beiden Präsidentschaftskandidaten Joe Biden oder Donald Trump, soll die Wahl gewinnen und wie sehr bevorzugen sie ihren Kandidaten?
b) Für wie wahrscheinlich halten sie es, dass ihr Kandidat ohne Betrug die „true vote“ gewinnt?
c) „Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Betrug das tatsächliche Ergebnis beeinflussen wird?
Danach wurden die Befragten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und ihnen nach dem Zufallsprinzip eine von zwei US-Katen mit hypothetischen Gewinnern in den verbleibenden Staaten vorgelegt, die entweder einen Biden- oder Trump-Sieg als Präsident darstellten. Danach wurden die Befragten erneut nach ihren Wahlbetrugsüberzeugungen befragt. Auf diese Weise konnten sie nun untersuchen, wie die Befragten ihre Meinung zu Wahlbetrug aktualisierten, nachdem ihnen neue Informationen zum vermeintlichen Wahlausgang bereitgestellt wurden.
Ungefähr drei Monate nach der ersten Umfrage füllte eine Untergruppe der Befragten eine Folgebefragung aus, in der sie dann ihre Überzeugungen über den wahren Wahlsieger und die Gewinner des angeblichen Wahlbetrugs darlegten.
„Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Demokraten als auch Republikaner ihren Glauben an Wahlbetrug verstärkten, wenn ihr Kandidat verlor, aber ihn verringerten, wenn ihr Kandidat gewann“, berichten die Autoren und Autorinnen. „Je stärker die Präferenz für einen Kandidaten ist, desto stärker sind außerdem die Voreingenommenheiten, Vorurteile oder ‚Erwünschtheitseffekte‘ (desirability effects).“
Um die kognitiven Mechanismen solcher Effekte besser zu verstehen und quantitativ vorhersagen zu können, entwickelten die Forschenden um Botvinik-Nezer ein wahrscheinlichkeitsbasiertes Rechenmodell. „Wir wollten feststellen, ob dieses Phänomen irrational war, Menschen einfach glauben, was sie glauben wollen, oder ob der Prozess der Aktualisierung von Überzeugungen rational sein könnte.“
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Hierzu erstellte das Team ein sog. Bayes‚sches Modell, wie es häufig verwendet wird, um zu modellieren, wie Menschen rationale Schlussfolgerungen ziehen. Unter Verwendung der Umfragedaten stützten sie ihr Modell auf ein System von drei Grundüberzeugungen:
a) Ob die Befragten dachten, dass bei der Wahl vor dem Ergebnis Betrug vorlag oder nicht
b) Wer ihrer Meinung nach die „wahre Wahl“ gewinnen würde
c) Wer ihrer Meinung nach von Betrug profitiert.
Obwohl das Modell keine Informationen über die Präferenzen der Menschen zum Wahlausgang enthielt, zeigte sich, dass man anhand der Auswertung in der Lage war, genau vorherzusagen, wie Menschen ihre Überzeugungen angesichts ihres Systems früherer Überzeugungen aktualisieren würden.
In einem nächsten Schritt verglichen die Forscher und Forscherinnen ihr Modell dann mit anderen Modellen der Aktualisierung irrationaler Überzeugungen (etwa zu glauben oder was man glauben möchte) und stellte fest, dass ihr rationales Modell die Muster der Aktualisierung von Überzeugungen am besten erklärte.
„Der Schlüssel war, dass Demokraten und Republikaner dazu neigten zu glauben, dass ihr Kandidat gewinnen sollte und dass, falls es zu einem Betrug kam, dieser von der entsprechend gegnerischen Parteigruppe begangen wurde“, erläutert Botvinik-Nezer. „Die psychologische Idee in dem Modell ist die, dass Menschen, wenn sie neue Informationen erhalten, ihre Überzeugungen auf der Grundlage ihres bestehenden Glaubenssystems aktualisieren, was ein rationaler Prozess ist, der die kausale Zuordnung neuer Beweise über konkurrierende Erklärungen hinweg beinhaltet. (…) Für Befragte, die fest davon überzeugt waren, dass Trump die Wahlen 2020 gewinnen müsse, ergab der Umstand keinen Sinn, dass nicht genügend Menschen für ihn gestimmt haben sollten. Für einige Menschen wäre es also durchaus rational, den Anhängern der gegnerischen Partei Schwindel und Wahlbetrug zu unterstellen“, führt Botvinik-Nezer weiter aus.
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen demnach, dass etwa ein Drittel der untersuchten Stichprobe einen hypothetischen Wahlverlust fast ausschließlich mit Betrug und nicht auf die „wahre Wahl“ erklärte: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass wenn Sie diese andere Erklärung für das Wahlergebnis haben, bei dem Betrug eine potenzielle Rolle spiel, so erscheint es plausibler, dass Betrug für die Wahl verantwortlich gemacht wird“, sagt Tor Wager abschließend. „Wenn Wahlbetrug als plausibel angesehen wird, wird die Verbindung zwischen dem Glauben an den wahren Wahlsieger und den Beweisen kurzgeschlossen. Um also den falschen Glauben zu ändern, muss man sich auf jene Aushilfsglauben konzentrieren, die diesen Kurzschluss unterstützen.“
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Recherchequelle: Dartmouth College
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