Studie liefert keine Spuren von galaktischen Halos aus Dunkler Materie
Bonn (Deutschland) – Laut dem Standardmodell der Kosmologie, sollte jede Galaxie von einem Halo, einer Art Schein aus Partikeln Dunkler Materie umgeben sein. Obwohl diese Heiligenscheine unsichtbar sind, müsste ihre Masse aber eine starke Anziehungskraft aus sie umgebende Galaxien haben. Neue Beobachtungen stellen diese Annahme und das damit einhergehende Bild unseres Universums nun aber in Frage. Stattdessen deuten Störungen in Zwerggalaxien des Fornax-Haufens auf die alternative Gravitationstheorie „MOND“ hin.
Wie das Team um Elena Asencio, Doktorandin von der Universität Bonn, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der schottischen University of Saint Andrews aktuell im Fachjournal „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ (DOI: 10.1093/mnras/stac1765) und vorab via ArXiv.org berichtet hatte, zeigen die Beobachtungen, dass zumindest die Zwerggalaxien des der Erde zweitnächsten Galaxienhaufens – des sogenannten Fornax-Haufens – keine solchen Halos aus Dunkler Materie haben.
Hintergrund
Zwerggalaxien sind kleine, schwache Galaxien, die normalerweise in Galaxienhaufen oder in der Nähe größerer Galaxien zu finden sind. Aus diesem Grund können sie von den Gravitationswirkungen ihrer größeren Begleiter beeinflusst werden.
„Wir stellen eine innovative Methode zur Überprüfung des Standardmodells vor, die darauf beruht zu untersuchen, wie stark Zwerggalaxien durch die Schwerkraft von nahe gelegenen größeren Galaxien gestört werden“, erläutert Asencio als Erstautorin der Studie. „Solche Gezeiten entstehen, wenn die Schwerkraft eines Körpers auf verschiedene Teile eines anderen Körpers wirkt. Sie sind vergleichbar mit den Gezeiten auf der Erde – bestimmt durch den Mond, der wie ein Magnet an der ihm zugewandten Seite der Erde zieht.“
Im Fornax-Haufen gibt es viele solcher Zwerggalaxien. Die jüngsten Beobachtungen der Astronominnen und Astronomen zeigen, dass einige dieser Zwerggalaxien verzerrt erscheinen – ganz so, als wären sie durch die Umgebung des Haufens gestört worden. „Solche Störungen in den Fornax-Zwergen erwartet man nach dem Standardmodell nicht“, sagt Prof. Dr. Pavel Kroupa von der Universität Bonn und der Karls-Universität in Prag. „Das liegt daran, dass nach diesem Modell die Halos aus Dunkler Materie die Zwerge größtenteils vor den Gezeiten des Haufens schützen.“
Die Forschenden analysierten das erwartete Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerge, das von ihren inneren Eigenschaften und ihrer Entfernung zum gravitativen Zentrum des Haufens abhängt: Galaxien mit großer Größe, aber geringer stellarer Masse und Galaxien in der Nähe des Haufenzentrums werden leichter gestört oder zerstört, erläutert die Pressemitteilung der Universität Bonn. Die Ergebnisse verglich das Team dann mit dem Störungsgrad, wie er anhand von Aufnahmen des VLT Survey Teleskops der Europäischen Südsternwarte (ESO) beobachtet werden kann.
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Das Ergebnis dieses Abgleichs: „Um die Beobachtungen mit dem Standardmodell zu erklären, müssten die Fornax-Zwerge bereits durch die Gravitation des Haufenzentrums zerstört werden, selbst wenn die Gezeiten, die auf einen Zwerg wirken, vierundsechzigmal schwächer sind als die Eigengravitation des Zwergs“, sagt Asencio. „Das ist nicht nur der Intuition widersprechend, sondern widerspricht auch früheren Studien, die zeigten, dass die externe Kraft, die nötig ist, um eine Zwerggalaxie zu stören, ungefähr so groß ist wie die Eigengravitation des Zwergs.“
Die Autorinnen und Autoren der Studie schließen daraus, dass es im Standardmodell nicht möglich ist, die beobachteten Erscheinungsformen der Fornax-Zwerge auf eine in sich widerspruchsfreie Weise zu erklären. Zur Kontrolle wiederholte das Team seine Analyse mithilfe der Milgromschen Dynamik bzw. „MOdifizierte Newton’sche Dynamik“ (MOND), nach deren Theorie die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newton’schen Gesetzen unterworfen ist. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird sie dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander.
„Wir waren uns nicht sicher, ob die Zwerggalaxien in der Lage sein würden, die extreme Umgebung eines Galaxienhaufens in MOND zu überleben, da es in diesem Modell keine schützenden Halos aus Dunkler Materie gibt“, sagt Dr. Indranil Banik von der University of St. Andrews. „Aber unsere Ergebnisse zeigen eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Beobachtungen und den MOND-Erwartungen für das Ausmaß der Störung der Fornax-Zwerge.“
Schon zuvor, 2020, hatten die Bonner Astrophysiker die Entstehung von Galaxien Galaxien- erstmals ohne Dunkle Materie erfolgreich simuliert und sehen in ihrem Ansatz eine Lösung zahlreicher Rätsel der modernen Kosmologie (…GreWi berichtete).
„Es ist aufregend zu sehen, dass die Daten, die wir mit dem Survey Teleskop erhalten haben, einen so gründlichen Test kosmologischer Modelle ermöglichen“, betonen die Koautoren Aku Venhola von der Universität Oulu (Finnland) und Steffen Mieske von der Europäischen Südsternwarte.
Tatsächlich sei es nicht das erste Mal, dass eine Studie, die die Auswirkungen der Dunklen Materie auf die Dynamik und Entwicklung von Galaxien untersucht, zu dem Schluss komme, dass die Beobachtungen besser dadurch erklärt werden können, dass die Galaxien nicht von Dunkler Materie umgeben sind. „Die Anzahl der Veröffentlichungen, die Unvereinbarkeiten zwischen Beobachtungen und dem Paradigma der Dunklen Materie aufzeigen, nimmt jedes Jahr zu“, sagt Pavel Kroupa, Mitglied der Transdisziplinären Forschungsbereiche „Modelling“ und „Matter“ der Universität Bonn. „Es ist an der Zeit, deutlich mehr Ressourcen in andere Theorien zu investieren.“
Dr. Hongsheng Zhao von der University of St. Andrews fügt abschließend hinzu: „Unsere Ergebnisse haben große Auswirkungen auf die Grundlagenphysik. Wir erwarten, dass wir mehr gestörte Zwerggalaxien in anderen Haufen finden, eine Vorhersage, die von anderen Teams überprüft werden sollte“.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
MOND-Theorie: Galaxien-Entstehung erstmals ohne Dunkle Materie simuliert 7. Februar 2020
Recherchequelle: Universität Bonn
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