Studie über paranormale Erlebnisse in Finnland
Symbolbild.
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Helsinki (Finnland) – Nachdem frühere Umfragen bereits gezeigt hatten, dass rund 40 Prozent aller Finnen bereits Erfahrungen gemacht haben, wie sie landläufig wohl am ehesten als übersinnlich oder paranormal bezeichnet werden würden, hat sich nun eine vierjährige Studie an der Universität Turku der Frage angenommen, warum diese Erlebnisse nur so selten Inhalt wissenschaftlicher Untersuchungen sind und warum sie in den Medien, der Öffentlichkeit und von vielen Wissenschaftlern immer noch tabuisiert werden. Eine Frage, die sich nicht nur in Finnland stellt.
Wie die finnische Nachrichtenseite „Yle.fi“ berichtet, spiegeln die Umfrageergebnisse damit ähnliche Studien, laut denen mehr als 50 Prozent der Menschen in westlichen Ländern von solchen Erlebnissen zwar zu berichten wissen, während die wissenschaftliche Erforschung dieser Phänomene noch mehrheitlich im Stillen oder gar gänzlich außerhalb des akademischen Betriebes, wenn auch deshalb nicht zwangsläufig von weniger befähigten und kompetenten Autoren, Forschern und Wissenschaftlern betrieben wird,
Auf der „Nacht der Wissenschaft“ standen diese Fragen denn auch im Zentrum einer Diskussion im vergangenen Januar im Helsinki University Library Café, wo die Medizinerin und Anthropologin Prof. Dr. Marja-Liisa Honkasalo Ergebnisse ihrer vierjährigen Studie mit dem Titel „Mind and the Other“ vorstellte, die von der finnischen Wissenschaftsakademie getragen wurde.
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„In unserem Projekt versuchten wir Erlebnisse zu verstehen, die in der Literatur oft als ‚unheimlich‘ bezeichnet werden. Das sind unterschiedliche Arten der physischen aber auch rein sensorischen Erlebnisse wie etwa das Hören von Stimmen, Wundersichtungen, Visionen oder auch nur das bestimmte Gefühl einer merkwürdigen Präsenz von ‚Etwas‘. (…) Aber auch die erstaunlich häufig beschriebenen Erlebnisse von Vorahnung (Präkognition) oder Telepathie. (…) Eine unserer Hauptfragen war aber auch die, warum diese doch so häufigen Erfahrungen so oft von ordentlicher Forschung und Wissenschaft geradezu ausgeschlossen werden. Untersuchungen etwa zum menschlichen Bewusstsein, der Psychiatrie oder Psychologie, kurz: warum sie so oft von der Wissenschaft einfach nicht ernst genommen werden.“ In Finnland seien derlei Erlebnisse mit bis zu 40 Prozent unter der Gesamtbevölkerung so häufig wie etwa Herzrhythmusstörungen.
Auf der Grundlage von mehr als 200 schriftlichen Schilderungen entsprechender Erfahrungen einer stark heterogenen Bevölkerungsauswahl, scheine es tatsächlich Beweise für die häufigsten parapsychologischen Phänomene wie etwa Präkognition zu geben, auch wenn die meisten Medien und Populärwissenschaftler noch immer oft das Gegenteil behaupten.
Hintergrund
Schon 2016 berichtete die Statistik-Professorin Jessica Utts von der University of California von ihren Untersuchungen auf dem Jahrestreffen der American Statistical Association zu 30-jährigen Daten zu entsprechenden Phänomenen. Auch Utts kam darin zu dem Schluss, dass diese Phänomene so real sind, wie viele andere Phänomene, die schon seit Jahrzehnten Inhalt ordentlicher wissenschaftlicher Untersuchungen in zahlreichen Laboratorien sind. Auf der Grundlage eines im Auftrag des US-Kongresses verfassten Berichts zur Evaluierung dieser Phänomene anhand unterschiedlicher Studien, kam Utts damals zu folgender Einschätzung:„Die Daten bilden ein starkes statistisches Fundament für die Vorstellung von Präkognition und möglicherweise verwandter Phänomene und würden vermutlich weitläufig auch entsprechend akzeptiert werden, wenn sie nur als etwas ‚Normaleres‘ dargestellt werden würden. (…) Ich selbst habe mit zahlreichen ‚Aufklärern‘ über die Frage gesprochen, ob es denn überhaupt eine Datenmenge geben würde, die sie von der Realität dieser Phänomene überzeugen könnte. Tatsächlich haben fast alle dies verneint. Auch auf die Frage, welche der bereits publizierten Studien sie zu den Themen selbst und ausführlich gelesen haben, gestanden die meisten der von mir Befragten ein, dass sie keine der besagten Studien gelesen hatten. Genau das ist aber eigentlich die Definition von Pseudowissenschaft: Schlussfolgerungen auf der Grundlage von persönlichem Glauben, statt harter Daten und Fakten.“
– Einen Bericht über eine Studie, die Jessica Utts gemeisnam mit Kollegen der Università di Padova publiziert hatte, in der sie Belege für die Fähigekeit des „Vorfühlens“ aufzeigen, finden Sie HIER
In ihrer „Mind and Other“-Studie ging es den finnischen Wissenschaftlern zunächst auch weniger um die Frage, ob die geschilderten Phänomene im engsten naturwissenschaftlichen Sinn real oder falsch waren. Die Ansatz des interdisziplinären Projekts war der einer sozialkulturellen Perspektive, mit Beiträgen aus Anthropologie, Folklore, Geschichtsforschung und Psychiatrie: „Wir waren daran interessiert, was diese Erfahrungen für die Zeugen und ihre Umgebung bedeutet.“
„Wenn die Zeugen in dem, was sie uns geschildert haben, ehrlich sind, dann haben sie diese Dinge zunächst einmal auch so erlebt. Als Untersucher können wir diese ‚Wahrheit‘ als solche nicht überprüfen, da es sich um die Wahrheit dieser Zeugen handelt. Wir nehmen dese Wahrheit also zunächst einmal als gegeben hin. Wir sind dann daran interessiert, ‚wie‘ diese ungewöhnlichen Erlebnisse gemacht wurden und wie sie in der finnischen Gesellschaft und im Alltag rezipiert wurden und werden.“
Honkasalo und Kollegen, so berichtet „Yle.fi“ weiter, war die Beobachtung bemerkenswert, wie stark diese Erlebnisse – obwohl so häufig – noch immer tabuisiert werden: „Die Menschen berichten uns davon, dass sie sich oft regelecht darin gelähmt fühlen, über diese Erfahrungen zu berichten. Wir vermuten, dass das daran liegt, weil diese Erlebnisse eben nicht in den Kontext unserer meist doch naturwissenschaftlich geprägten Sicht- und Denkweise und unseren Alltag passen. Wir erleben Dinge entweder als ’normal‘ oder als pathologisch – nur selten als etwas dazwischen. Hierbei handelt es sich aber um solche ‚Zwischen-Erlebnisse‘, die aber schnell als abnormal kategorisiert werden. (…) Für viele gibt es angesichts solcher Erlebnisse aber nur eine Wahrheit und es gibt nur eine institutionalisierte Wahrheit und das ist der medizinische oder psychologische Weg diese Dinge zu definieren.“
Zu Beginn des Projekts wurden die Forscher von vielen Menschen schon alleine wegen dieses gesellschaftlichen Stigmas kontaktiert. „Diese Menschen berichteten uns, wie sie versucht hatten, sich diese Dinge über die Jahre hinweg zu erklären und dabei auch institutionalisierte Wissenschaftseinrichtungen, Personen und Ärzte, bis hin zu Priestern kontaktiert hatten. (…) Da sich diese Autoritäten aber selbst meist nicht sicher waren, ob es sich bei den Erlebnissen um ‚gesunde‘ oder ‚krankhafte‘ Erfahrungen handelt, haben sie sich meist dafür entschieden, sie als krankhaft bzw. Erfahrungen kranker Menschen zu kategorisieren. Der Versuch, von entsprechenden Erfahrungen zu berichten, wurde für viele Zeugen und ihre Familien zu einer Art Spießrutenlauf, nicht selten mit tragischen Wendungen. (…) Einige Zeugen wurden von Psychologen als Schizophren diagnostiziert und medikamentiert, oder sogar eingewiesen.
Zum Thema
In ihrem Beitrag zur Studie belegt die Volkskundlerin Kaarina Koski von der Universität Helsinki gemeinsam mit dem Historiker Juuson Järvenpää von der Universität Tampere, dass im Vergleich zu manch anderen Kulturen, die westlichen und skandinavischen Gesellschaften ein besonders ausgeprägt negatives Verhältnis zu übersinnlichen Phänomenen haben. „Vermutlich liegt das daran, dass diese Erlebnisse zunächst eben weder in das vorherrschende wissenschaftlich geprägte Weltbild, noch (auf Finnland bezogen) in das der Lutheranischen Glaubenslehren zu passen scheinen.“
Honkasalo selbst vermutet aber noch andere Gründe zumindest für die heutige (finnische) Zurückhaltung gegenüber diesen Erlebnissen, die noch vor kaum mehr als einem Jahrhundert fester Bestandteil der Folklore war (Anm. GreWi: …eine Beobachtung, wie sie nicht nur auf Finnland zutrifft.)
Prof. Dr. Marja-Liisa Honkasalo
Die Wissenschaftlerin sieht die strikten Grenzen, wie sie durch die Medizin und medizinische Institutionen vorgegeben werden als einen wichtigen Faktor der modernen finnischen Gesellschaftsgeschichte. „Im europäischen und skandinavischen Kontext, trat Finnland erst vergleichsweise spät in die Moderne ein, Der Wohlfahrtsstaat und die moderne Gesellschaft gründeten sich sogar erst in den Nachkriegsjahren. Um eine solche Gesellschaft zu werden, sein und zu bleiben, benötigt es aber auch moderne, modern denkenden Menschen. Die von uns untersuchten Erlebnisse und Erfahrungen aber, nehmen einen Bezug zu einer Kosmologie und der Art und Weise die Welt zu sehen, die noch aus einer Zeit eben vor dieser Moderne stammt. Sie erinnern uns aber an eben diese Zeit und gerade wir Finnen haben immer noch Angst, durch diese Vorstellung definiert zu werden. (Anm. GreWi: Fragen Sie sich doch mal spontan, was für sie typisch finnisch ist!). Für viele Finnen ist das das Schlimmste. Von vielen werden wir etwa als weniger modern wahrgenommen als etwa die Schweden und das macht viele unsicher. Diese Erlebnisse klopfen also an die Tür dieses problematischen Selbstwertgefühls. Ich denke, auch das ist einer der Gründe für dieses merkwürdige Tabu.“
Gefördert von der finnischen Krone-Stiftung setzt Honkasalo ihre Untersuchungen aktuell an der Universität von Helsinki und der Kunsthochschule Helsinki fort.
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