Nachtod-Kontakte: Studie untersucht erneut „Halluzinationen“ von Verstorbenen

„Erscheinung“, Gemälde von Eugeniu Voinescu (19. Jhrd.). Nach dem Tod seiner Tochter Iulia kam der für seine maritimen Ölgemälde bekannte rumänische Maler aufgrund von Erscheinungen seiner Tochter zu der Überzeugung, mit ihr weiterhin kommunizieren zu können und beschäftige sich zunehmend mit dem Spiritualismus. Copyright: Gemeinfrei
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„Erscheinung“, Gemälde von Eugeniu Voinescu (19. Jhrd.). Nach dem Tod seiner Tochter Iulia kam der für seine maritimen Ölgemälde bekannte rumänische Maler aufgrund von Erscheinungen seiner Tochter zu der Überzeugung, mit ihr weiterhin kommunizieren zu können und beschäftige sich zunehmend mit dem Spiritualismus. Copyright: Gemeinfrei

„Erscheinung“, Gemälde von Eugeniu Voinescu (19. Jhrd.). Nach dem Tod seiner Tochter Iulia kam der für seine maritimen Ölgemälde bekannte rumänische Maler aufgrund von Erscheinungen seiner Tochter zu der Überzeugung, mit ihr weiterhin kommunizieren zu können und beschäftige sich zunehmend mit dem Spiritualismus.
Copyright: Gemeinfrei

New Brunswick (USA) – Eine aktuelle Studie widmet sich sogenannten Halluzinationen von verstorbenen Personen, wie sie meist unmittelbar nach deren Tod von nahestehenden Verwandten und Freunden berichtet werden und deren Wirkung auf den Trauerprozess. Handelt es sich um ein psychologisch-medizinisches oder um spirituelles Phänomen?

Wie die Schweizer Sterbeforscherin Evelyn Elsaesser gemeinsam mit Chris A. Roe und Callum E. Cooper vom Centre for Psychology & Social Sciences an der University of Northampton und David Lorimer vom Scientific and Medical Network aktuell im Fachjournal „BJPsych Open“ (DOI: 10.1192/bjo.2021.960) berichtet, ist das Phänomen der sensorischen Wahrnehmungen und Erfahrungen von eigentlich Verstorbenen, meist in zeitlicher Nähe zum Todeszeitpunkt, ein kultur- und glaubensübergreifendes, weit verbreitetes Phänomen. Die Forscherin und Forscher selbst sprechen von „Nachtod-Kommunikation“ bzw. Nachtod-Kontakte (nicht zu verwechseln mit „Nahtod-Erlebnissen“). Entsprechende Erfahrungen werden von den Hinterbliebenen meist als tröstend empfunden, wurden bislang aber erst selten empirisch untersucht, weil entsprechende Erfahrungen von vielen immer noch tabuisiert (Anm.: wie oft hört man etwa Sätze wie „Seid ihr Mann kürzlich verstorben ist, ist die nicht mehr ganz dicht…) werden und Mediziner, Psychologen und auch viele Seelsorger meist wenig Erfahrung zugleich aber Scheu im Umgang damit haben.

Hintergrund
Bereits 1971 veröffentlichte Dr. William Dewi Rees unter dem Titel „The hallucination of widowhood“ einen Fachartikel über die „Halluzinationen von Wittwen und Wittwern“ im British Medical Journal (BMJ; DOI: 10.1136/bmj.4.5778.37). Darin schilderte Rees die Auswertung von Interviews mit 227 Witwen und 66 Witwern aus seiner Praxis in Wales. Rees selbst war an möglichen Prozessen für einen positiven Umgang mit und während der Trauer interessiert, da der Verlust eines geliebten Menschen nicht selten auch mit gesundheitlichen Folgen für die Hinterbliebenen einhergeht.

Neben vielen anderen Erkenntnissen ging aus Rees‘ Interviews aber auch die Beobachtung hervor, dass etwa die Hälfte der Befragten unmittelbar nach dem Tod ihrer Geliebten, Halluzinationen dieser Verstorbenen erlebten. Später schränkte Rees selbst den Begriff „Halluzination“ als Beschreibung für diese Erfahrungen ein, weil dieser nahelege, dass diese Erfahrungen zwangsläufig weniger oder sogar überhaupt nicht real seien – er selbst könnte jedoch keine Grundlage für eine Bestimmung deren ontologischen Status finden. Rees beschreibt dabei „Halluzinationen“ die vom „Gefühl der Anwesenheit“ der Verstorbenen bis hin zu auditiven, visuellen und taktilen Erlebnissen der Hinterbliebenen reichen. In der Mehrheit der Fälle erlebten die Zeugen diese Wahrnehmungen aber weniger pathologisch, als vielmehr für den Trauerprozess hilfreich und trostspendend, weshalb Rees vor 50 Jahren auch schlussfolgerte, dass entsprechende Erfahrungen ein „normaler und (meist) positiver Teil der Trauer“ seien. (Anm.: Einer von vier Patienten bzw. Patientinnen der Studie, hatten aus Angst vor Spott zuvor nie über ihre Erfahrungen gesprochen.)

In den folgenden Jahrzehnten haben sich auch andere Forscher mit dem Phänomen beschäftigt und dieses mit verschiedenen Bezeichnungen belegt, darunter „post-beraeavement hallucination“ (Nach-Trauer Halluzination) oder wie Elsaesser und Kollegen „‘after-death communications’ (ADCs, = Nachtod-Kommunikation bzw. Nachtod-Kontakte).

In ihrer aktuellen Studie haben sich Evelyn Elsaesser und Kollegen dem Phänomen nun viel genauer und anhand einer deutlich größeren Teilnehmerzahl gewidmet, die sich anhand eines 194-teiligen Umfragebogens beteiligt hatten. Zu ihrer Studie zur „Phänomenologie und Auswirkungen von Halluzinationen von Verstorbenen“ (The phenomenology and impact of hallucinations concerning the deceased) erhielten die Forschenden 991 Rückmeldungen von 143 Männern und 842 Frauen im Alter von 18 bis 89 Jahren. Laut den Autoren und der Autorin spiegele dieses geschlechterspezifische Ungleichgewicht eine typische Disparität bei Umfragen zu entsprechend gelagerten Themen wieder, die meist bei etwa 3:1 liegt. Ob dies an einem tatsächlichen Unterschied der erlebten Wahrnehmungen oder der Bereitschaft, über diese auch zu sprechen, ist hingegen unklar.

Was das Studienergebnis aber zeigen kann, dass sich heute (noch im Gegensatz zu Rees‘ Studie von 1971) die meisten dieser „Halluzinationen“ während des Schlafes ereignen. Während einige frühere Studien solche ADCs im Schlaf jedoch noch schlichtweg als Träume abtaten, fragten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aktuell in diesen Fällen auch ganz gezielt danach, ob die Zeugen diese Erfahrung selbst „nur als einen Traum“ oder mehr als das bezeichnen würden. Hierzu erklärten mehr als ein Drittel der betroffenen Antwortenden, dass es sich nicht um gewöhnliche Träume gehandelt habe, dass die Erfahrungen eine „andere Qualität“ gehabt hätten und diese stattdessen vielmehr gefühlt von einer externen Quelle an sie herangetragen wurden. Auch unterschieden die Umfrageteilnehmer und -Teilnehmerinnen in vielen Fällen zwischen „Träumen von Verstorbenen“ und dem, was die Forschenden als ADCs beschreiben.

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Interessanterweise berichten ebenfalls mehr als ein Drittel der Zeugen, dass sie während ihrer ADC-Erfahrungen nicht alleine waren: In 21 Prozent dieser Ereignisse seien die „Halluzinationen“ sogar von weiteren Anwesenden gesehen, gehört oder empfunden worden.

Gut ein Viertel der Antwortenden erklärte zudem, dass sie durch diese Erfahrungen Informationen erhalten hätten, die ihnen zuvor nicht bekannt waren (u.a. über die eigentlichen oder tatsächlichen Todesumstände des Verstorbenen). Für Evelyn Elsaesser sind dies Fälle Belege für tatsächliche sog. „Nachtod-Kontakte“ mit den Verstorbenen (…GreWi berichtete).

Jenseits dieser Indizien und vielleicht Beweise für womöglich paranormale Phänomene, stimmt die Mehrheit der Antwortenden (71,1 Prozent) darin überein, dass ihre Erfahrungen tiefgreifend, wert- und bedeutungsvoll waren. 25,5 Prozent zeigen sich froh, diese Wahrnehmungen gemacht zu haben. Fast alle Teilnehmer bestätigen zudem den tröstlichen und emotional heilsamen Charakter der Erfahrungen als wichtigen Teil ihres Trauerprozesses.

Zum Thema

Während der Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die an ein Leben nach dem Tod glauben vor ihrer Erfahrung bei 68,9 Prozent lag, stieg diese Überzeugung einhergehend bzw. nach ihren ADC-Erlebnissen auf einen Anteil von 93 Prozent. Zugleich belegen die Aussagen interessanterweise kaum Veränderungen in den grundsätzlichen Überzeugungen der Teilnehmenden zu Religion, während die Befragten selbst ihr Level an Spiritualität nach den Erfahrungen danach als höher einschätzen als davor.

Abschließend bemerken die Autorin und Autoren der Studie, dass das Verdrängen und oder die Tabuisierung entsprechender Erfahrungen – sowohl durch die Zeugen als auch durch das persönliche Umfeld aber auch durch Trauerbegleiter privater wie professioneller Art – für die Erlebenden eher frustrierend und schmerzlich sein können und sogar sehr viel eher zu negativen Effekten als zu einem heilsamen Umgang mit der Trauer führen (können).




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Recherchequellen: BJPsych Open, TheDailyGrail.com, eigenen Recherche grenzwissenschaft-aktuell.de

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