Studie: Warum mehr Frauen als Männer der Hexerei verdächtigt wurden

Symbolbild: Einer angeblichen Hexe wird die Anklageschrift überreicht (Illu.). Copyright: Gemeinfrei
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Symbolbild: Einer angeblichen Hexe wird die Anklageschrift überreicht (Illu.).Copyright: Gemeinfrei

Symbolbild: Einer angeblichen Hexe wird die Anklageschrift überreicht (Illu.).
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Cambridge (Großbritannien) – Obwohl im Mittel- und Spätmittelalter bis in die Neuzeit hinein sowohl Frauen als auch Männer der Hexerei verdächtigt, daraufhin angeklagt, verurteilt und hingerichtet wurden, waren es doch mehreitlich Frauen, denen dieses Schicksal aufgebürdet wurde. In einer aktuellen Studie wurde untersucht, warum das so war.

In ihrer Arbeit hat Professor Philippa Carter von der University of Cambridge Hexenprozesse im 16. und 17. Jahrhundert auf den Britischen Inseln und in Neuengland auf die Unausgewogenheit zwischen den Geschlechtern angesichts von Anklagen und Prozessen wegen Hexerei untersucht.

Hintergrund
Der Höhepunkt Hexenverfolgung in Europa ereignete sich zwischen 1550 und 1650, als geschätzt drei Millionen Menschen der Prozess gemacht und davon bis zu 60.000 hingerichtet wurden. Frühere Untersuchungen zeigen, dass Frauen in Mitteleuropa mit etwa Zweidrittel die Mehrzahl der Opfer, aber auch der Denunzianten und Denunziantinnen darstellten. In Nordeuropa waren hingegen Männer stärker betroffen. Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Konfessionszugehörigkeit und Hexenverfolgung belegen die Aufzeichnungen hingegen nicht. Auf den Britischen Inseln und in Neuengland lag der Anteil an Männern zwischen 10 und 30 Prozent.

Neben der Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, liefern Carters neue Untersuchungen nun einen weiteren Hauptgrund dafür, warum mehrheitlich Frauen als Hexen galten. Wie die Wissenschaftlerin aktuell im Fachjournal „Gender & History“ (DOI: 10.1111/1468-0424.12717) darlegt, basiert ihre Studie auf den Aufzeichnungen von Richard Napier, einem bekannten englischen evangelikalen Volksarzt und Astrologen (1597–1634), der zu Tausenden seiner Konsultation Notizen hinterließ.

„Die meisten Studien über englische Hexerei basieren auf gerichtlichen Aufzeichnungen, oft auf Voruntersuchungen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Hinrichtung eine reale Möglichkeit war. Napier’s Aufzeichnungen sind hingegen weniger inszeniert. Es scheint, dass er diese Notizen nur für seine eigene Referenz behalten hat“, erläutert die Forscherin und führt dazu weiter aus: „“Seine Dienstleistungen standen dem durchschnittlichen Menschen zur Verfügung. Die Leute besuchten ihn, um ihre Theorien zu überprüfen oder nach magischen Lösungen zu suchen, anstatt sich auf einen riskanten Rechtsstreit einzulassen. Napier’s Aufzeichnungen gewähren uns somit Zugang zu den Hexerei-Überzeugungen auf der Ebene der einfachen Leute, während Verdächtigungen in den Dörfern Englands zunahmen.“

Beispielseiten aus Richard Napiers Notizen.

Beispielseiten aus Richard Napiers Notizen.

„Während die von Napier untersuchten Beschwerden von Herzensleid bis Zahnschmerzen reichten, kamen viele Menschen mit der Befürchtung zu Napier, von einem Nachbarn oder einer Nachbarin verhext worden zu sein“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Die Kunden nutzten Napier als eine Art Sprachrohr für diese Ängste und baten ihn um Bestätigung durch die Sterne oder um Amulette zum Schutz vor Schaden.“

Insgesamt finden sich in Napiers Notizen 1.714 Fälle zu Hexerei. 802 dieser Klienten benannten die Verdächtigen zudem nicht nur mit Namen, sondern 130 davon beschriebene auch weitere Details, darunter auch deren Berufe und Stände.

Eine Analyse dieser Aufzeichnungen offenbarte wiederkehrende Muster in den Berichten. So waren es vornehmlich sechs Berufe, wie sie zur damaligen Zeit nahezu ausschließlich von Frauen ausgeübt wurden: „Die meisten dieser Berufe und Arbeiten waren im Gesundheitswesen oder in der Kinderbetreuung, bei der Lebensmittelzubereitung, der Milchproduktion oder der Tierpflege“, so Carter.“All dies machte Frauen anfällig für den Vorwurf der magischen Sabotage, wenn Tod, Krankheit oder Verderb, die dann meist auch mit Leid und finanziellen Verlust einhergingen. Natürliche Zersetzungsprozesse wurden als ‚Verderbnis‘ betrachtet. Verderbtes Blut ließ Wunden eitern, und verdorbene Milch führte zu schlechtem Käse.“ So fand Carter 17 Fälle von angeblich magischer Schädigung von Milchprodukten. In 16 Fällen waren nur Frauen involviert.

„Die Arbeit der Frauen führte dazu, dass sie sozusagen die erste Verteidigungslinie gegen diese Formen der Verderbnis wurden, und das brachte sie in Gefahr, als Hexen bezeichnet zu werden, wenn ihre Bemühungen fehlschlugen.“ Dies stand im Gegensatz zur Arbeit der Männer, die oft mit robusten oder verrottungsbeständigen Materialien wie Eisen, Feuer oder Stein arbeiteten.“

Eine der angeblichen Hexen war Joan Gill. Sie erlangte ihren Ruf, nachdem ihr Ehemann Milch getrunken hatte, die sie aufbewahrt hatte, und der Löffel, den er dazu benutzt hatte, sich über in seinem Mund verkantet hatte. „Nicht nur das Verweigern von Nahrung, sondern auch das Bereitstellen davon konnte zu Anschuldigungen führen. Neun von zehn Verdächtigen, die Lebensmittel verkauften, waren Frauen, und es gab 25 Anschuldigungen nach einer Krankheitswelle, die nach dem Verzehr von Lebensmitteln auftrat.“

Darüber hinaus arbeiteten Frauen oft in mehreren Berufen, normalerweise mitten in ihren Gemeinden. „Sie bewegten sich also sozusagen zwischen verschiedenen Häusern, Backstuben, Brunnen und Märkten – anstatt auf Feldern oder in Werkstätten. Die Häufigkeit des sozialen Kontakts in weiblichen Berufen erhöhte die Wahrscheinlichkeit, in die Konflikte oder Missverständnisse verwickelt zu werden, die oft den Verdacht auf Hexerei untermauerten. Viele Anschuldigungen ergaben sich einfach daraus, zur falschen Zeit am Ort eines Unglücks zu sein.“

Laut Carter kombinierten Frauen oft mehrere Einkommensquellen und arbeiteten in mehreren Haushalten, um über die Runden zu kommen: Sie betreuten Kinder, bereiteten Essen zu und kümmerten sich um Kranke. Sie arbeiteten nicht nur in einem Hochrisikosektor, sondern in vielen gleichzeitig. Das erhöhte das Risiko zusätzlich.“

Zum Thema

„Viele Frauen praktizierten als örtliche Heilerinnen aber auch und gerade dies war eine riskante Tätigkeit: Verdächtigungen tauchten auf, wenn die Behandlungen fehlschlugen. Ein männlicher Kunde, der unter „großen Schmerzen in seinen privaten Teilen“ litt, sagte Napier, eine weibliche Heilerin habe ihn „verhext“, nachdem er eine zweite Meinung eingeholt hatte.

Einige der riskantesten Arbeiten gehörten zu dem, was wir heute als „pflegende Berufe“ bezeichnen, wie sie auch heute noch von Frauen dominiert werden. „Geburtshilfe, Betreuung von Kranken oder älteren Menschen, Kinderbetreuung und so weiter. Zum Beispiel hatten dreizehn Verdächtige die Beschuldigerin bei ihrer Entbindung betreut.

Die Säuglingssterblichkeit war hoch, und die Aussicht, ein Kind zu verlieren, motivierte oft Anschuldigungen. Über 13 % aller erfassten Hexerei-Anschuldigungen, in denen ein Verdächtiger genannt wurde, betrafen ein Opfer unter 12 Jahren.“

Auch der Verlust von Schafen und Rindern war eine häufige Ursache für Anschuldigungen: „Etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten in der Viehzucht zu dieser Zeit waren Frauen. Diese Parität zeigt sich bei den Anklägern (28 Männer und 28 Frauen), nicht jedoch bei den Verdächtigen (15 Männer und 91 Frauen). „Napiers Fallbücher legen nahe, dass Streitigkeiten zwischen Männern über Vieh oft auf Frauen abgelenkt wurden“, so Carter. „Eine Hausfrau der frühen Neuzeit war für die Gesundheit von Vieh und Menschen verantwortlich; sie stellte die Umschläge und Sirupe her, die zur Behandlung beider verwendet wurden. Wenn ein Tier auf seltsame Weise erkrankte, konnte dies als böser Missbrauch ihrer Heilungsfähigkeiten interpretiert werden.“

Laut Carter trug also die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zur Überwiegung weiblicher Hexenverdächtiger bei: „In Krisenzeiten konnten lang anhaltende Verdächtigungen als Massenanklagen auftreten. Englands Hexenprozesse in der Mitte des 17. Jahrhunderts führten innerhalb von drei Jahren zur Hinrichtung von Hunderten von Frauen. „Jedes Jahr zu Halloween werden wir daran erinnert, dass die stereotypische Hexe eine Frau ist. Historisch gesehen könnte die Risikobereitschaft der ‚Frauenarbeit‘ ein Teil des Grundes dafür sein.“

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Recherchequelle: University of Cambridge

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