Studie zeigt: Der „magische Blick“ der Mona Lisa ist nur ein Mythos
Bielefeld (Deutschland) – Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Die Augen einer Person auf einem Gemälde scheinen dem Betrachter durch den Raum zu folgen, wenn dieser sich bewegt. Forscher sprechen dabei vom sogenannte „Mona-Lisa-Effekt“, wie er jedoch nicht nur seiner berühmten Namensgeberin im Pariser Louvre nachgesagt wird. Bielefelder Kognitionsforscher zeigen nun, dass dieser Effekt gerade beim Pariser Original gar nicht auftritt und entlarven so nicht nur eine wissenschaftliche Legende.
Grundlage für die aktuell von Dr. Gernot Horstmann aus der Forschungsgruppe Neurokognitive Psychologie und Dr. Sebastian Loth aus der Forschungsgruppe Kognitive Systeme und soziale Interaktion im Fachjournal „i-Perception“ (DOI: 10.1177/2041669518821702) beschriebenen Studie ist die schon in den 1960er Jahren durch Wahrnehmungspsychologen erlangte Erkenntnis, dass Menschen sehr gut in der Lage einzuschätzen, ob sie von anderen angeschaut werden oder nicht.
„Auch bei Fotos und Gemälden können Menschen das Gefühl haben, angesehen zu werden – und zwar dann, wenn die dargestellte Person geradeaus aus dem Bild schaut, das ist ein Blickwinkel von null Grad“, sagt Horstmann. „Bei einem leicht seitlichen Blick fühlt man sich gerade noch angesehen, zum Beispiel, wenn die portraitierte Person einem gewissermaßen auf das Ohr guckt. Wenn die Blickrichtung um mehr als fünf Grad abweicht, fühlt man sich nicht mehr angeschaut.“
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Eine Besonderheit des Effekts sei zudem der Umstand, dass man noch nicht einmal frontal vor einem Bild stehen muss, um den Eindruck zu haben, von einem Bild angesehen zu werden. „Der Eindruck entsteht auch dann, wenn wir uns links oder rechts und in unterschiedlichen Abständen von dem Bild befinden“, fügt Loth erläuternd hinzu.
GreWi-Hintergrund: Der Mona-Lisa-Effekt als Spuk-Faktor
Tatsächlich spielt der „folgende Blick“ auch in zahlreichen Spuklegenden immer wieder eine Rolle. Bekannt ist er unter anderem aus dem schottischen Tulloch Castle. Der bekannteste Spuk hier, soll Besuchern des heute als Hotel dienenden Schlosses in Form der Green Lady erscheinen. Hierbei soll es sich um den Geist der Tochter von Duncan Davidson handeln. Diese soll ihren Vater mit einem der Hausmädchen erwischt haben und vor ihm durch das Haus davongelaufen und auf der Treppe zu Tode gestürzt sein. Auf dem großen Gemälde im großen Fest- und Speisesaal ist die Familie abgebildet (Copright: A. Müller für grenzwissenschaft-aktuell.de).Die einzige Person auf dem Bild, die in Richtung des Betrachters blickt, soll genau diese Tochter gewesen sein. Tatsächlich hat es zudem den Eindruck, als folge einem ihr Blick durch den ganzen Saal. Übrigens: Die auffallend dunkle Fläche hinter dem Mädchen hat auch ihren Grund. Hier war einst Duncan Davidson selbst zu sehen, der nach dem Vorfall durch Überpinseln entfernt worden sein soll – erzählt man sich zumindest auf Tulloch Castle. GreWi-Herausgeber Andreas Müller war selbst schon Gast auf Tulloch und bekam von so manchem Mitarbeiter die ein oder andere angeblich selbst erlebte Spukgeschichte erzählt. Während Müller selbst keine Phänomene im Schloss erlebte, bestätigten jedoch Mitreisende einige Vorfälle, wie sie auch schon Angestellte auf Tulloch und andere Reisende zuvor berichtet hatten. Darunter das Gefühl der Anwesenheit einer weiteren Person in einem sonst leeren Raum (…in diesem Fall dem einstigen Kinderzimmer) und rätselhafte Geräusche, die an raschelndes Papier im Zimmer erinnerten. „Tatsächlich erfüllt Tulloch sämtliche Ansprüche an ein schottisches Spukschloss – bis hin zu den Familiengräbern auf dem Anwesen und in Tunneln unter dem Gemäuer gefundenen Skeletten. Das Alter, die Heizungs- und Lüftungsrohre, die das ganze Haus von oben bis unten durchziehen und vermutlich so jeden Raum mit den anderen verbinden, tun sicherlich hier und da das Ihre zu einer hier durchwachten Nacht hinzu. Ob sie aber alle Geschichten und Vorfälle auf Tulloch, wie etwa verrückte Möbel und offene, zuvor noch eigenhändisch fest verschlossene Fenster, erklären können, sei jedem Besucher selbst überlassen“, endet Müller.
Tatsächlich sei der Effekt selbst hinlänglich bekannt und könne auch anhand zahlreicher Gemälde und Fotografien nachvollzogen werden. „Doch gerade bei Mona Lisa hatten wir nicht das Gefühl, dass sie uns anschaut“, berichten die Forscher.
Um diese Vermutung zu überprüfen, baten die beiden Wissenschaftler 24 Probanden, die Mona Lisa auf einem Bildschirm anzuschauen und ihre Blickrichtung zu beurteilen. Dabei saßen die Testpersonen frontal vor dem Monitor. Anhand der Skala eines Zollstocks, der sich quer vor dem Bildschirm befand, sollten die Testpersonen nun angeben, wohin der Blick der Mona Lisa gerichtet ist.
„Um hinzu zu testen, ob einzelne Merkmale von Monas Lisas Gesicht die Wahrnehmung der Blickrichtung beeinflussen, präsentierten die Forscher 15 verschiedene Ausschnitte des Portraits – von der Darstellung des gesamten Kopfes bis zu Ausschnitten, die nur Augen und Nase zeigen. Jeder Ausschnitt wurde drei Mal gezeigt, die Reihenfolge war zufällig“, berichtet die Pressemitteilung der Universität Bielefeld. „Außerdem veränderten die Forscher nach der Hälfte jedes Bilddurchlaufs den Abstand des Zollstocks vom Monitor.“
Auf diese Weise sammelten die Wissenschaftler so mehr als 2.000 Einschätzungen. Das Ergebnis: „Die Testpersonen unserer Studie haben den Eindruck, dass der Blick der Mona Lisa aus Sicht des Betrachtenden nach rechts gerichtet ist. Der Blickwinkel liegt bei 15,4 Grad“, sagt Gernot Horstmann. „Damit steht fest: Der Begriff Mona-Lisa-Effekt ist ein Misnomer – also eine Falschbezeichnung. Der Begriff veranschaulicht das starke menschliche Bedürfnis, im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer Menschen zu stehen – also jemandem wichtig zu sein, auch wenn man diese Person überhaupt nicht kennt.“
Die Frage der Blickrichtung spielt eine wichtige Rolle in der Gestaltung von virtuellen Figuren für Assistenzsysteme oder Computerspiele. „Wenn ich zum Beispiel in einer virtuellen Umgebung mit einem Avatar kommuniziere, hilft mir der Blick als Teil der Körpersprache ihn besser zu verstehen“, erläutert Loth abschließend. „So kann mir der virtuelle Agent vermitteln, dass er aufmerksam ist, oder er kann mit seinem Blick auf Objekte im Raum hinweisen.“
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