Tübingen (Deutschland) – Dass auch einige Tierarten bis hin zu Bienen ein Gespür für Zahlen haben, ist bereits bekannt. Lautes zählen galt bislang jedoch als alleinige Fähigkeit des Menschen. Jetzt zeigt eine Studie, dass auch Krähen ihre Stimme zum lautmalerischen Zählen nutzen können.
Wie das Team um die Verhaltensforscherin Diana A. Liao, Dr. Katharina F. Brecht und Juniorprofessorin Lena Veit unter der Leitung von Professor Andreas Nieder vom Institut für Neurobiologie der Universität Tübingen aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.adl0984) berichtet, konnten sie in Verhaltensexperimenten mit den Rabenvögeln aufzeigen, dass die Tiere lernen können, eine vorgegebene Anzahl an Rufen zu erzeugen. Noch mehr: Die Krähen planen dabei im Voraus: „Über den Klang des ersten Rufs in einer Zählsequenz lässt sich vorhersagen, wie viele Rufe die Krähe hören lassen wird.“
Zwar seien Rabenkrähen, die zu den Singvögeln gehören, nicht gerade für die Schönheit ihres Gesangs bekannt, stattdessen aber für ihr überragendes Lernvermögen, erläutern die Forschenden aus Tübingen. „So belegen frühere Studien, dass die Vögel Verständnis für Zahlen besitzen. Außerdem beherrschen sie ihre Stimme sehr gut. Sie können genau kontrollieren, ob sie einen Ruf ausstoßen wollen oder nicht.
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Hierzu hat Nieders Team in Verhaltensversuchen mit drei Rabenkrähen untersucht, ob die Vögel diese Fähigkeiten in Kombination anwenden können. Hierzu erhielt diese die Aufgabe, nach Anzeige unterschiedlicher Bildsymbole oder beim Erklingen bestimmter Töne ein bis vier Rufe zu erzeugen und ihre Rufsequenz mit dem Picken auf einen Bestätigungsknopf abzuschließen. „Das gelang allen drei Vögeln. Sie konnten ihre Rufe in der Sequenz mitzählen“, berichtet Nieder in einer Pressemitteilung der Universität. „Die Reaktionszeit zwischen der Präsentation des Reizes und dem Ausstoßen des ersten Rufs der Antwort sei relativ lang gewesen und umso länger, je mehr Rufe gefordert waren. Die Länge der Verzögerung sei unabhängig von der Art des Hinweisreizes gewesen, Bild oder Ton.“ Das deute darauf hin, dass die Krähen aus der präsentierten Information ein abstraktes Zahlenkonzept bilden, über das sie ihre Lautäußerungen vor dem Ausstoßen der Rufe planen.
Hintergrund
Schon 2015 konnte das Team um Andreas Nieder die Fähigkeit zum Zählen und damit vorhandenen Zählneuronen bei Krähen nachweisen und berichteten schon damals im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“. Damals erläuterten die Forschenden über die Beobachtung hinaus, die Bedeutung der Ergebnisse im Hinblick auf den langen Evolutionszeitraum, der uns Menschen von den Vögeln trennt, ein Umstand, aus dem ein unterschiedicher Aufbau der Endhirne von Vogel und Mensch hrvorgeht. „Überraschenderweise finden wir bei Krähen die gleiche Art der Zahlenrepräsentation, wie wir sie zuvor im Primatengehirn beschrieben haben“, ergänzt Andreas Nieder. „Es scheint, als hätten Rabenvögel und Primaten trotz ihres unabhängig und verschieden entwickelten Endhirns die gleiche Lösung gefunden, Anzahlen zu verarbeiten.“ Letzten Endes hätten selbst unsere höchsten Geistesfähigkeiten biologische Wurzeln. (…GreWi berichtete)
Die Schlussfolgerungen der Forschenden werden zudem durch die Analyse der einzelnen Krähenrufe einer Sequenz noch bestärkt. „Wir konnten anhand der akustischen Eigenschaften des ersten Rufs in einer Zählsequenz vorhersagen, wie viele Rufe die Krähe erzeugen wird“, berichtet Nieder. Dies gelinge den Krähen allerdings nicht fehlerfrei. „Zählfehler, also etwa ein Ruf zu viel oder einer zu wenig, entstehen dadurch, dass der Vogel während der Sequenz die Übersicht über die bereits erzeugten beziehungsweise die noch zu produzierenden Rufe verliert. Auch die Fehler können wir an den akustischen Eigenschaften der Einzelrufe ablesen.“
Grundsätzlich erfordere die Fähigkeit, willentlich eine bestimmte Zahl an Lautäußerungen zu erzeugen, aber eine hochentwickelte Kombination von Zahlenkompetenz und Stimmbeherrschung. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sie nicht allein dem Menschen vorbehalten ist. Sie eröffnet prinzipiell auch den Rabenvögeln eine ausgeklügelte Kommunikation“, resümiert Nieder abschließend.
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Recherchequelle: Universität Tübingen
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