Überraschung in der Ostantarktis: Viel weniger Seen unter dem Eisschild als angenommen

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Blick auf den Recovery-Gletscher.
Copyright: Alfred-Wegener-Institut / Daniel Steinhage

Bremerhaven (Deutschland) – Basierend auf Satellitendaten gingen Wissenschaftler bislang davon aus, dass sich unter dem Eisschild der Ostantarktis eine Vielzahl verborgener Wasserseen befindet. Nur so konnten bislang auch die Bewegungen der großen Eisströme des Ostantarktischen Eisschildes erklärt werden. Eine genaue Überprüfung vor Ort zeigte nun jedoch, dass es dort unten tatsächlich kaum Wasser gibt. Wie aber entstehen dann die großen Eisströme?

Wie Glaziologen um Prof. Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) aktuell im „Journal of Geophysical Research“ (DOI: 10.1029/2017JF004591) berichten, haben sie in einer aufwendigen Antarktis-Expedition mehrere Seen unter dem sog. Recovery-Gletscher überprüft, die zuvor mithilfe von Satelliten entdeckt worden waren.

Hintergrund
Der Recovery-Gletscher im antarktischen Coatsland ist bislang ein schlafender Riese. Im Schneckentempo von 10 bis 400 Meter pro Jahr transportiert er Eismassen vom Hochplateau des Ostantarktischen Eisschildes hinab Richtung Weddellmeer. Sein Einzugsgebiet reicht dabei vom Filchner-Schelfeis an der Küste rund 1000 Kilometer weit in das Landesinnere und erstreckt sich über eine Fläche fast dreimal so groß wie Deutschland. Beides könnte den Gletscher zu einem gefährlichen Akteur machen, sollte er eines Tages im Zuge des Klimawandels Tempo aufnehmen. Prognosen zufolge wäre er dann jener Strom, über den die Ostantarktis das meiste Eis verlieren würde. Ein Anstieg des weltweiten Meeresspiegels wäre die unmittelbare Folge.

Eine Antwort auf die Frage, warum sich die Eismassen des Recovery-Gletschers überhaupt in Bewegung setzen, ist nach der jetzt abgeschlossenen AWI-Expedition allerdings ungewisser denn je: „Bislang hatte die Forschergemeinde angenommen, Schmelzwasserseen unter dem Ostantarktischen Eisschild würden den entscheidenden Impuls zur Entstehung des Eisstromes geben“, erklärt die Pressemitteilung des AWI und führt dazu weiter aus: „Die Vorstellung war, dass diese Seen gelegentlich überlaufen und dabei einen Gleitfilm entstehen lassen, auf dem das Eis dann rutscht wie ein Auto beim Aquaplaning. Diese Annahme galt vor allem für jene Regionen des Ostantarktischen Eisschildes, in denen Schwerkraft allein nicht ausreicht, um Eis so schnell fließen zu lassen. Dazu zählt auch das Entstehungsgebiet des Recovery-Gletschers.“

Wie Prof. Humbert erklärt, sind auf den Satellitenaufnahmen des Gletschers im oberen Einzugsgebiet viele flache, gleichförmige Bereiche an der Oberfläche zu erkennen, von denen man bisher angenommen hatte, dass sich an der Unterseite des Eispanzers riesige Seen befänden, die den Eisstrom auslösen. „Ohne diese Seen, so lautete die Vorstellung, würden Eisströme wie der Recovery-Gletscher gar nicht erst entstehen.“

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Doch genau diese Hypothese widerlegen die neuen Messungen der Wissenschaftler nun. Die Daten von Radarvermessungen des Gletschers zeigen, dass die bislang postulierten Wasseransammlungen von der Größe des Bodensees und größer nicht vorhanden sind.

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben die Forscher zusätzlich Satellitendaten genutzt und die zuvor gefundenen Höhenänderungen, die auf auslaufende Seen schließen lassen, noch einmal überprüft: „Wir können die Ergebnisse unserer Kollegen auch reproduzieren und verstehen, warum sie dort Seen vermuten. Wasser aber haben wir an den entsprechenden Stellen nicht nachweisen können“, so Angelika Humbert.

Dass es Unter-Eis-Seen in der Antarktis gibt, ist von russischen und britischen Forschungsprojekten am Wostoksee und Ellsworthsee bekannt (…GreWi berichtete, siehe Links). „Solche Seen sind Ansammlungen von Schmelzwasser, das entsteht, wenn Wärme aus dem Erduntergrund das Eis an seiner Unterseite schmelzen lässt. Das Wasser sammelt sich dann im Laufe von Jahrtausenden in Senken“, erklärt AWI-Glaziologe und Mitautor Dr. Thomas Kleiner.

Angesichts ihrer neuen Forschungsergebnisse haben die AWI-Forscher jetzt allerdings mehr Fragen als Antworten zur Rolle der Unter-Eis-Seen: „Unsere neuen Ergebnisse zeigen, dass überfließende Seen nicht der auschlaggebende Mechanismus für die Entstehung eines Eisstromes sein können. Gleichzeitig weisen unsere Radar-Untersuchungen Schwächen auf, die uns daran zweifeln lassen, ob diese Methode wirklich geeignet ist, subglaziale Seen im vollen Ausmaß nachzuweisen. Da sich nun aber auch die Oberflächen- und Höhenanalysen als ungeeignet erwiesen haben, bleiben uns eigentlich nur seismische Untersuchungen, um wirklich zu verstehen, warum sich Eisströme in Bewegung setzen.“

Da Problem: Seismische Studien lassen sich nicht vom Flugzeug aus durchführen und Landexpeditionen in entlegene Regionen wie dem Recovery-Gletscher sind um ein Vielfaches aufwendiger als die ohnehin schon schwierigen Flugzeug-Messkampagnen. Aus diesem Grund plann die AWI-Forscher jetzt schon weitere Expeditionen im antarktischen Sommer 2020/21. Dann soll dem Recovery-Gletscher mit einer seismischen Traverse unter das Eis geschaut, sowie der Gletscher mit dem neuen AWI-Ultra-Breitband-Eisradar untersucht werden. Beide Datensätze zusammen werden dann hoffentlich mehr Aufschluss darüber geben, warum das Eis des Recovery-Gletschers in seinem Entstehungsgebiet zu gleiten beginnt: „Erkenntnisse über diese ursächlichen Mechanismen des Gletscherflusses werden dringend gebraucht, um sie in Eis- und Klimamodelle einzubauen und auf diese Weise die Vorhersage-Genauigkeit der Modelle zu verbessern“, so die Autoren der Studie abschließend.

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