Berlin (Deutschland) – Unidentifizierte Flugobjekte und Phänomene am Himmel sind nicht nur ein Phänomen unserer Zeit, sondern wurden bereits seit Jahrhunderten und vermutlich schon viel länger gesehen und beschrieben. Anhand einer historischen Flugschrift von 1665 über die Erscheinung einer Luftschlacht und fliegenden Scheibe am Himmel beleuchtet die Kunstbibliothek am Berliner Kulturforum in einer Sonderausstellung vom 5. Mai bis 27. August 2023 die Medienkarriere dieses Vorfalls, offenbart Denkmuster und Kommunikationsstrategien, die bis heute die Berichterstattung über UFOs und UAP zu beeinflussen scheinen.
Die Ausstellungsmacher um den Direktor der Kunstbibliothek und Kurator der Ausstellung „UFO 1665 – Die Luftschlacht von Stralsund“, Dr. Moritz Wullen, beschreiben die Ausstellung als „Expedition in eine fremdartige Bilderwelt, die sich vor dem Massenpublikum der Museen zwischen den Seiten alter Bücher oder in Archiven versteckt. Wer die Kunst des 17. Jahrhunderts nur aus den großen Gemäldegalerien kennt, wird sich überrascht die Augen reiben. Man hat den Eindruck, als beträte man ein barockes Paralleluniversum mit seltsamen Zeichen am Himmel, Luftschiffen, Weltraumraketen und fliegenden Scheiben.“
Im Rahmenprogramm der Ausstellung hat sich Moritz Wullen auch drei Experten und Expertinnen zum öffentlichen Podiumsdiskussionen eingeladen:
Am 8. Juni 2023 diskutiert Wullen mit Prof. Dr.-Ing. Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg über den „neuen Ernst der UFO-Forschung“: „Wie die Luftschlacht von Stralsund bringen auch die mysteriösen Himmelsphänomene des 21. Jahrhunderts die Menschheit an die Grenzen ihres Wissens. Unter der Bezeichnung „UAPs“ (unidentified aerial phenomena) sind die lange Zeit belächelten UFOs zu einer ernsten Herausforderung für Wissenschaften, Politik und Militär geworden. Was wissen wir über die Phänomene? Stehen wir an einer Zeitenwende?“
Am 6. Juli 2023 ist Prof. Dr. Heike Rauer, die Direktorin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Planetenforschung Berlin zum Thema „Fremde Welten: Ferne Planeten zwischen Imagination und Wissenschaft“ zu Gast: „Seit dem 17. Jahrhundert fantasieren Menschen in Bildern und Texten von der Eroberung des Alls und der Begegnung mit fremden Lebensformen. Welche Rolle spielen solche Vorstellungen und kreativen Visualisierungen in der heutigen Wissenschaft und Forschung? Und umgekehrt die Frage: Wie werden sich diese Imaginationen unter dem Einfluss der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse verändern?“
Am 24. August 2023 und abschlißend zur Ausstellung diskutiert Moritz Wullen mit dem Journalisten, Sachbuchautoren („Deutschlands UFO-Akten“) und GreWi-Herausgeber Andreas Müller über „Die Deutschen und die UFOs“: „Das Stralsund-Ereignis des Jahres 1665 reiht sich ein in eine lange Geschichte von Sichtungen rätselhafter Himmelsphänomene im deutschsprachigen Raum. Sogar Goethe soll ein UFO gesehen haben! Keiner der Vorfälle hat es aber zum Bekanntheitsgrad des legendären Roswell-Zwischenfalls in New Mexico im Sommer 1947 gebracht. Warum eigentlich tun sich Erdlinge, Behörden und Wissenschaften hierzulande mit den UFOs so schwer?“ Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Wienand Verlag.
Zum Thema
Aufhänger der Ausstellung ist ein Ereignis, das nicht zuletzt aufgrund seiner zeitgenössisch-medialen Rezeption in Form von Einblattdrucken, Flugblättern und frühen Zeitungsmeldungen als „Luftschlacht von Stralsund“ bekannt wurde.
Am frühen Nachmittag des 8. April 1665 beobachteten zeitgenössischen Berichten zufolge sechs Fischer vor Stralsund, wie sich Vogelschwärme am Himmel in sich dramatisch bekämpfende Kriegsschiffe verwandelten. Gegen Abend erschien dann über der Kirche Sankt Nikolai „eine platte runde Form wie ein Teller“ erscheint, ergreifen sie die Flucht. Tags darauf – so wird berichtet – zittern sie am ganzen Leib und klagen über Schmerzen.“Hierzu erläutert die Pressemitteilung der Staatlichen Museen zum Berlin „(…) In den Medien verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Flugblätter und Zeitungen machten sich mit unterschiedlichsten Versionen und Interpretationen Konkurrenz. Vor allem religiöse Überzeugungen bestimmten die mediale Transformation des Ereignisses, denn die Menschen lebten in der Überzeugung, dass die Welt von einem Gott regiert wird, der bevor-stehende Heimsuchungen an den Himmel projiziert. Auch die Luftschlacht wurde als ein solches ‚Prodigium‘ (lat. ‚Vorzeichen‘) gedeutet. Niemand kam auf die Idee, dass es sich um einen Hoax oder ein Naturphänomen, zum Beispiel eine atmosphärische Spiegelung, handeln könnte.
Nicht nur das religiöse Weltbild, sondern auch das Bilddesign hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die mediale Transformation der Luftschlacht. Eine besondere Rolle spielten futuristische Visionen von Luftschiffen, für welche sich die Menschen des 17. Jahrhunderts begeisterten. Mehr als 100 Jahre vor dem ersten bemannten Ballonflug hatte Francesco Lana Terzi (1631–1687) den Entwurf eines von Vakuumkugeln getragenen Flugboots publiziert, der europaweit Furore machte. Dass das Vorhaben nie realisiert werden konnte, tat der Euphorie keinen Abbruch. Die Menschen träumten von der Eroberung des Luftraums.“
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Ein weiteres Thema der Ausstellung sei die Macht der Mythen: „Als am 19. Juni 1670 der Blitz ausgerechnet in die Kirche Sank Nikolai schlug, über der die Scheibe fünf Jahre zuvor unheilverkündend erschienen war, wurde die Himmelserscheinung im Nachhinein als ein Zorneszeichen Gottes interpretiert. Zeitgenössische Beschreibungen und Darstellungen des Ereignisses beschworen einen geheimnisvollen Zusammenhang mit der Zerstörung Babylons durch einen gigantischen Mühlstein, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschildert wird.
Das kollektive Bild von der Luftschlacht über Stralsund ist aber nicht nur geprägt von den Medien, Glaubenssätzen, Designs und Mythen des Barock-Zeitalters. Ebenso wird ablesbar, was man sich damals nicht vorstellen konnte. So ist in keiner Quelle des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit unerklärlichen Himmelserscheinungen von Außerirdischen die Rede. Dabei war die menschliche Fantasie längst so weit, sich Expeditionen zu bewohnten Planeten und entsprechende Antriebssysteme vorzustellen. Warum dennoch kein Mensch auf die Idee kam, Außerirdische könnten ihrerseits mit Flugapparaten an unserem Himmel erscheinen, ist eines von vielen Rätseln, das die Ausstellung zu lösen versucht.“
Zugleich unternimmt die Ausstellung auch ein Exkurs in die Gegenwart. Am Beispiel der spätestens 2019 viral gegangenen Videos und Berichte von Sichtungen rätselhafter „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs) durch das US-Militär, die es zwei Jahre später sogar auf den Titel einer Ausgabe des „Spiegel“ geschafft haben. „Die Bandbreite der diskutierten Deutungen ist irrwitzig groß. Handelt es sich um physikalisch erklärbare Naturphänomene, überlegene Hightech-Drohnen chinesischer oder russischer Produktion, Außerirdische oder gar um Besucher aus der Zukunft? Selbst NASA und Pentagon scheinen keinen Schimmer zu haben. Eines ist jedoch sicher: Die für die Medienkarriere von ‚UFO 1665‘ ausschlaggebenden Faktoren haben bis heute nichts von ihrer Macht verloren.“
– Die Webseite zur Ausstellung finden Sie HIER
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Recherchequelle: SMB Museum
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