Vision: Schwarm aus Lichtseglern soll „Planet Nine“ finden
New Jersey (USA) – Seit 2016 suchen Astronomen fieberhaft nach einem planetenschweren Objekt, das kleinere Objekte im äußeren Sonnensystem auf ungewöhnliche Umlaufbahnen lenkt. Bislang blieb diese Suche nach “Planet Nine”, also einem bislang unentdeckten neunten Planeten im Sonnensystem, erfolglos. Ein renommierter String-Theoretiker hat nun ein Konzept vorgestellt, bei dem ein Schwarm hunderter Kleinstsonden die Position des gesuchten Planeten anhand dessen Schwerkraft aufzeigen sollen – selbst dann, wenn es sich bei „P9“ gar nicht um einen Planeten, sondern um ein kleines Schwarzes Loch handeln würde. Es stellen sich aber auch Probleme.
Wie der Physiker Edward Witten vom Institute for Advanced Study (IAS) vorab via „ArXiv.org“ erläutert, basiert seine Vision auf dem Konzept von „Breakthrough Starshot”, bei dem Kleinstsonden von Lichtsegeln auf 10-20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und so das 4,37 Lichtjahre entfernte Dreifachsystem Alpha Centauri innerhalb von 20-30 Jahren erreichen sollen (…GreWi berichtete).
Witten – der für seine mathematischen Arbeiten auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorie und zur sog. „M-Theorie“ (also dem Versuch einer Erweiterung und Verallgemeinerung der Stringtheorie) bekannt ist – schlägt vor, einen ganzen Schwarm aus hunderten Starshot-Sonden nur mit jeweils einem Sender und einer extrem präzisen Uhr ausgestattet ins äußere Sonnensystem jenseits der Neptunbahn zu schicken.
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Während dieser Reise würde jede Sonde jeder Sekunde ein Signal zurück zur Erde senden, mit dem wir als Empfänger erkennen würden, wieviel Uhr es jeweils an Bord der Absendersonde ist. Je weiter eine Sonde von der Erde entfernt ist, desto „länger“ würde das Signal zurück zur Erde benötigen. Synchronisiert mit einer Atomuhr hier auf der Erde, könnte dann die jeweilige Verzögerung und damit die exakte Distanz der Sonde präzise ermittelt werden. Auf diese Weise würde nach und nach eine Karte der jeweiligen Position der einzelnen Elemente des Sondenschwarms entstehen, während diese sich im und durch das Sonnensystem ausbreiten.
Während der ersten Reisejahre dürfte sich diese Karte anhand der Gravitationswirkungen der uns bekannten Körper im Sonnensystem recht vorhersehbar entwickeln. Nach rund 10 Jahren aber, würden die Sonden in den Bereichen jenseits der Neptun-Bahn ankommen, innerhalb derer Astronomen auch den gesuchten, bislang aber sozusagen noch unsichtbaren „Planet Neun“ vermuten.
Hintergrund: Planet Nine
Jenseits der Umlaufbahn des Neptun liegt der Kuiper-Gürtel, der aus kleinen Körpern aus der Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems besteht. Neptun und die Riesenplaneten beeinflussen gravitativ die Objekte im Kuiper-Gürtel und darüber hinaus, die gemeinsam als Trans-Neptunian Objects, also als transneptunische Objekte (TNOs) bekannt sind, und die die Sonne auf nahezu kreisförmigen Bahnen umkreisen.
„Würde eine Sonde Planet 9 passieren, würde sie von dessen Schwerkraft beschleunigt“, erläutert Witten. „Diese Abweichung würde dazu führen, dass die Sonde weiter von der Erde entfernt wäre, als zu diesem Zeitpunkt ohne ein P9-Objekt eigentlich vorherberechnet.“ Anhand der Gesamtdaten des Schwarms könnte in diesem Fall dann die Position des die Abweichungen verursachenden Objekts sehr genau angezeigt werden.
Auf der Grundlage der bisherigen Starshot-Berechungen würde das von Witten angedachte Projekt zunächst zwar rund 517 Millionen US-Dollar kosten. Sobald die Starshot-Staranlage allerdings errichtet wäre – und dann schließlich auch für weitere Projekte genutzt werden könnte – würde der Start einer einzelnen Sonde, aufgrund deren vergleichsweise einfachen Ausrüstung dann nur noch jeweils rund 8.000 Dollar kosten.
Da Astronomen zwar zahlreiche transneptunische Objekte mit übereinstimmenden Bahnabweichungen, nicht aber das dafür verantwortliche Schwere-Objekt entdeckt haben, vermuten einige Astronomen bereits, dass es sich dabei gar nicht um einen Planeten, sondern um ein Grapefruit-großes Schwarzes Loch mit entsprechender Planetenmasse handeln und deshalb der bisherigen Suche entgangen sein könnte (…GreWi berichtete).
Tatsächlich könnte Wittens Sondenschwarm aber auch ein solches oder gar noch exotischeres Objekt entdecken und seine Position aufzeigen – selbst wenn dieses Objekt selbst nicht direkt zu sehen wäre.
Zugleich könnte Wittens Konzept aber auch auf natürliche bzw. astrophysikalische Grenzen stoßen, bemerkt der Harvard-Astrophysiker Avi Loeb und verweist ebenfalls in einem vorab via „ArXiv.org“ veröffentlichten Paper zu Wittens Idee auf die besonderen Eigenschaften der Umgebung, in der „Planet Neun“ die Sonne umkreisen sollte. Zum einen müssten die Uhren an Bord der Sonden extrem genau sein, um nicht auch von kleineren Störquellen in dieser Region des Sonnensystems abgelenkt zu werden. Zum anderen stelle der Umstand, dass „Planet Nine“ die Sonne außerhalb der Heliopause und damit bereits im interstellaren Medium umkreisen müsste, eine enorme Quelle für Störrauschen dar, und die Zugkraft des interstellaren Mediums könnte hinzu die Schwerkraft des gesuchten Planeten überwiegen.
Während also das grundlegende Prinzip von Wittens Vision durchaus funktionieren könnte, zeigt sich Loeb, der auch als wissenschaftlicher Berater der Breakthrough-Initiative tätig ist, also kritisch, zugleich aber offen für alternative Anwendungen des Konzepts: „Jenseits der Suche nach Planet 9 könnte es gute Gründe für den Start eines solchen Schwarms ins Sonnensystem geben“ und meint damit zahlreiche andere Objekte, die mit großen Raumsonden nur schwer erkundet werden können. Loeb denkt dabei an interstellare Objekte wie ‚Oumuamua oder die potentiell lebensfreundlichen Geysire des Saturnmondes Enceldaus.
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Quelle: ArXiv.org
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