Wie sich religiöse Überzeugungen verbreiten
Die Häuptlinge Waikato und Hongi Hika mit dem Missionar Thomas Kendall, Ölgemälde von James Barry, 1820.
Quelle: National Library of New Zealand Te Puna Mātauranga o Aotearoa, Alexander Turnbull Library, Wellington (Ref:G-618)
München (Deutschland) – In einer aktuellen Studie haben Münchner Wissenschaftler am Beispiel des Christentums untersucht, wie sich religiöse Überzeugungen verbreiten. Wie konnte aus einer kleinen Glaubensgemeinschaft die größte Religionsfamilie der Welt werden? Was machte sie so erfolgreich? Wurde das Christentum durch Volksbewegungen oder über politische Eliten weitergetragen? Und was kann uns die Ausbreitung des Christentums darüber sagen, wie es zu weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen kommt? Das Ergebnis widerspricht Vorstellungen von einer Grass-Root-artigen Ausbreitung des Christentums.
Wie das Team um Dr. Joseph Watts vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und der Universität Auckland aktuell im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ (DOI: 10.1038/s41562-018-0379-3) berichtet, nutzten sie neue computerbasierte Methoden zum Kulturvergleich, um Antworten auf besagte Fragen zu finden: „Dabei wurde untersucht, wie sich politische Hierarchien, soziale Ungleichheit und Bevölkerungsgröße auf die Verbreitung des Christentums in 70 austronesischen Gesellschaften ausgewirkt haben“, erläutert die Pressemitteilung des Instituts und führt dazu weiter aus: „Die austronesischen Gesellschaften teilen eine gemeinsame Ursprache und erstrecken sich über weite Teile der pazifischen Inselwelt von Ostafrika über Südostasien bis in den Südpazifik. Die Christianisierung fand typischerweise im 18. und 19. Jahrhundert statt und die Struktur dieser Gesellschaften reichte damals von sehr kleinen, egalitären Familiengemeinschaften bis hin zu großen, politisch komplexen Gesellschaften wie Hawaii. Einige dieser Gesellschaften konvertierten in weniger als einem Jahr vollständig, bei anderen dauerte dieser Prozess bis zu 200 Jahre. Die Vielfalt der gesellschaftlichen Strukturen und der Konversionsgeschichten macht die austronesischen Gesellschaften zu einem idealen Testfeld für Theorien des kulturellen Wandels.“
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Die Ergebnisse der Studie zeigen, „dass Kulturen mit politischen Führungsstrukturen oft am schnellsten zum Christentum konvertierten.“ Dies unterstütze die Annahme eines sog. „Top-down“-Prozesses der Christianisierung, bei dem politische Machthaber und Elitenführer, die selbst von Missionaren bekehrt wurden, großen Einfluss auf die Verbreitung der christlichen Lehre in ihrem Volk hatten.
Im Gegensatz dazu habe das Ausmaß der sozialen Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften keinen Einfluss auf das Tempo der Christianisierung gehabt, berichten die Forscher weiter. „Dies stellt eine der populärsten Begründungen für den Erfolg des Christentums in Frage, die von einem „Bottom-up“-Prozess ausgeht.“ Dieser Prozess, so die Theorie, werde dadurch angestoßen, dass das Christentum die Angehörigen der unteren sozialen Schichten stärkt und ihnen ein besseres Leben nach dem Tod verspricht.
Die Studie zeigt auch, dass sich das Christentum am schnellsten in Gesellschaften mit geringen Bevölkerungszahlen ausgebreitet hat. Dieses Ergebnis trägt dazu bei, die Bedeutung der Bevölkerungsgröße für Prozesse des kulturellen Wandels zu verdeutlichen: „Während die Menschen oft an große Gesellschaften als Innovationsquellen denken, zeigen unsere Ergebnisse, dass größere Gesellschaften neue Ideen auch langsamer aufgreifen können“, sagt Erstautor Watts. „In einer zahlenmäßig kleinen Bevölkerung wird es wahrscheinlicher, dass Überzeugungen relativ schnell verbreitet werden, insbesondere wenn sie von deren Führern und anderen mächtigen Persönlichkeiten gefördert werden.
Prozesse des kulturellen Wandels sind ein faszinierender Aspekt des menschlichen Lebens und die Ergebnisse dieser Studie geben uns bedeutende und weitreichende Einblicke in das Verhalten großer Gruppen und den Prozess des kulturellen Wandels. Wenn man sich unsere heutige Welt ansieht, verbreiten sich manche Dinge unglaublich schnell, während es bei anderen sehr lange dauert. Unsere Studie zeigt, warum das so sein könnte.“
Die Forscher glauben, dass neue Erkenntnisse darüber, wie sich Überzeugungen in der Vergangenheit verbreitet haben, auch Hinweise darauf geben können, wie sie sich zukünftig verbreiten werden: „Diese Forschung kann uns helfen zu verstehen, wie beides – die Größe und die Struktur von Gesellschaften – die Verbreitung und Übernahme neuer Institutionen, Ideologien oder Technologien beeinflusst.“
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