Drei Wikinger-Langschädel deuten auf ferne Handelsbeziehungen
Haithabu (Deutschland) – Schon im Kleinkindalter mechanisch herbeigeführte, deformierte sog. Lang- oder Turmschädel sind in zahlreichen Kulturen rund um den Globus bekannt. Weniger bekannt sind die einzigen drei Langschädelfunde im Einflussbereich der Wikinger. Diese auf der Insel Gotland gefundenen Exemplare sowie dortige mechanische Veränderungen der Zähne deuten auf ferne Handelsbeziehungen.
Wie Matthias Toplak von Wikinger Museum Haithabu und Lukas Kerk von der Universität Münster aktuell im Fachjournal „Current Swedish Archaeology“ (DOI: 10.37718/CSA.2023.09) berichten, stammen die einzigen drei Langschädelfunde bei Wikingern von der Insel Gotland. Alle drei Langschädel-Skelette auf Gotland sind Skelette von Frauen. Ihr Alter konnte auf rund 1.000 Jahre datiert werden.
Da weitere Langschädel bei Wikingern und in Skandinavien – mit Ausnahme der drei Funde auf Gotland – unbekannt sind und Gotland das Haupthandelszentrum der Wikinger war, gehen die beiden Wissenschaftler davon aus, dass der Brauch keine Wikinger-eigene Tradition war, sondern auf damalige Handelsbeziehungen vermutlich bis zum Schwarzen Meer und einen entsprechenden kulturellen Austausch hindeutet.
Hintergrund
Als künstlich herbeigeführte Schädeldeformation (Schädeldeformierung, Schädelverformung) bezeichnet man sowohl die meist irreversible Verformung des Schädels – meist bei Frauen. Um keinen allzu großen gesundheitlichen Schaden hervorzurufen, mussten entsprechende Eingriff bereits in der frühen Kindheit durch Bandagieren herbeigeführt werden. Obwohl die Praxis weltweit verbreitet war (und teilweise, wenn auch in milderen Formen heute noch ist), war sie während der Völkerwanderungszeit auch zwischen Mitteleuropa und Zentralasien verbreitet. Sie wurde von den Hunnen westwärts getragen und hier von germanischen Völkern übernommen. Während die Absicht dieser auffallenden Körperveränderung bis heute unbekannt ist, finden sich Langschädel auch im deutschen Sprachraum, etwa in Bayern, wo die Tradition hier und da bis ins 10. Jahrhundert hinein fortgeführt wurde (s. Links u.).
Die Forscher vermuten, dass der verlängerte Schädel ein Zugehörigkeitsmerkmal einer wie auch immer herausragenden sozialen Gruppe der damaligen Wikinger-Gemeinschaften auf Gotland war. Zumindest von einem Skelett können die Forscher mit Sicherheit sagen, dass die Frau selbst direkt von Gotland stammte.
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Sehr viel verbreiteter unter Wikingern war hingegen die mechanische Veränderung der sichtbaren Schneidezähne durch im Erwachsenenalter beigefügte Einkerbungen. Hierzu haben Toplak und Kerk rund 130 Funde aus Wikingergräbern untersucht.
Während die Forschung bislang davon ausging, dass die Kerben vielleicht auch durch den Gebrauch der Zähne als Werkzeuge, etwa bei der Lederverarbeitung, unbeabsichtigt entstanden, zeigen die Forscher, dass die beschriebenen Kerben so nur mit Hilfe von Eisenfeilen, also ganz gezielt herbeigeführt werden konnten. Auch hier vermuten die Autoren der Studie, dass es sich um ein Erkennungs- und Zugehörigkeitsmerkmal handelte, das dann vielleicht auch in Initiationsritualen erstellt wurde. Anhand der Funde gegen die Forscher davon aus, dass die Praktik erstmals in der heute schwedischen Region Uppland verwendet wurde. Eine Konzentration späterer Funde auf Gotland belege dann die Bedeutung der Insel für den Handel in der Ostsee während des gesamten Mittelalters. Erst nach dem 12. Jahrhundert verliert sich die Praktik in den skandinavischen Funden. „Auch das passt zum Rückgang der klassischen mittelalterlichen Handelsgilden zu dieser Zeit.“
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Recherchequelle: Current Swedish Archaeology
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