London (Großbritannien) – Einige kleinere Objekte im äußeren Sonnensystem verhalten sich nicht so, wie sie es eigentlich sollten: Sie weisen ungewöhnlich elliptische und in gleicher Weise ungewöhnlich ausgerichtete Umlaufbahnen aus – ganz so, als würden sie von einem noch unbekannten großen Objekt von den Kräften des uns bekannten Sonnensystems abgelenkt. Einige Astronomen sehen darin einen Hinweis auf einen noch unbekannten weiteren großen Planeten im äußeren Sonnensystem, der spätestens seit seiner Beschreibung 2016 ebenso hitzig gesucht wie über seine Existenz debattiert wird. Jetzt berichtet ein Astronom von der Entdeckung eines ersten potenziellen Signal-Kandidaten in alten Beobachtungsdaten. Doch nicht nur der Entdecker selbst, zweifelt an der Belastbarkeit seiner Entdeckung.
Wie Michael Rowan-Robinson vom Imperial College London aktuell voran via ArXiv.org und in einer zukünftigen Ausgabe des Fachjournals „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ erläutert, hat er in den Daten des 1983 aktiven Infrarot-Satelliten „IRAS“ (Infrared Astronomical Satellite) nach Hinweisen auf den gesuchten „neunten Planeten“ unseres Sonnensystems gesucht.
Das Ergebnis: Drei Punktquellen könnten sich mit einigen Eigenschaften decken, die die Vertreter der Theorie eines weiteren, fernen Planeten im Sonnensystem bereits postuliert haben.
Hintergrund
Jenseits der Umlaufbahn des Neptun liegt der Kuiper-Gürtel, der aus kleinen Körpern aus der Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems besteht. Neptun und die Riesenplaneten beeinflussen gravitativ die Objekte im Kuiper-Gürtel und darüber hinaus, die gemeinsam als Trans-Neptunian Objects, also als transneptunische Objekte (TNOs) bekannt sind, und die die Sonne auf nahezu kreisförmigen Bahnen umkreisen.Allerdings haben Astronomen einige mysteriöse Ausreißer entdeckt. Seit 2003 wurden rund 30 TNOs auf stark elliptischen Umlaufbahnen entdeckt: Sie heben sich von den anderen TNOs dadurch ab, dass sie im Durchschnitt die gleiche räumliche Orientierung haben. Diese Art von Clustering lässt sich nicht durch die bislang bekannte Architektur des Sonnensystems mit den acht bekannten Planeten erklären und führte zu verschiedenen Hypothesen, laut derer die ungewöhnlichen Bahnen durch die Existenz eines noch unbekannten neunten Planeten beeinflusst werden könnten.
Obwohl erstmals der Astronom Scott C. Sheppard die Idee von einem weiteren großen Planeten im Sonnensystem beschrieb, wurde die Theorie erst durch die Ausführungen dazu von Mike Brown und Konstantin Batygin bekannt. Auf der Grundlage neuster Berechnungen gehen Brown und Batygin davon aus, dass Planet Nine eine Masse von rund fünf Erdenmassen und eine Umlaufbahhalbachse nur von 400 Astronomischen Einheiten (AE = Abstand Erde-Sonne) besitzt. (Zuvor waren davon ausgegangen, dass P9 etwa 10 Erdenmassen auf die Wage bringen könnte und die Sonne 20 mal weiter als Neptun umkreise, was eine Halbachse von etwa 700 AE entsprechen würde. Damit wäre der Planet nicht nur kleiner und der Sonne deutlich näher, sondern auch gleichzeitig heller als lange Zeit gedacht (…GreWi berichtete).
Während einige Medienberichte, die Ausführungen des Astronomen bereits als mögliche Entdeckung von Planet Nine in alten Beobachtungsdaten feiern, zweifelt Rowan-Robinson schon in seinem Artikel selbst daran, dass es sich bei den Entdeckten IRAS-Signalen um „Planet Neun“ handeln könnte. Zugleich unterstreicht er jedoch, dass aufgrund des enormen Interesses an der Suche nach Planet Nine alle Hinweise geprüft werden sollten, um seine Existenz entweder zu bestätigen oder zu widerlegen.
Grund für die Zweifel seien unter anderem die aus heutiger Sicht schlechte Qualität der IRAS-Detektionen und der Umstand, dass die Signale in einem für Infrarotbeobachtungen sowieso schon schwierigen Himmelsabschnitt gemacht wurden. „Vor diesen Hintergründen ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei diesem Kandidaten tatsächlich um ein echtes Signal des wirklichen Planet Nine handelt, nicht wirklich überwältigend“, so der Astronom.
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Von Januar 1983 an versah IRAS 10 Monate lang seinen Dienst und durchmusterte 96 Prozent des Himmels im infraroten Spektrum – einem Spektrum, innerhalb dessen sich kühle Objekte, wie jene wie P9 abzeichnen könnten. Anhand von 250.000 Punktquellen, filterte Rowan-Robinson schlussendlich drei Signale heraus, die der Satellit im Juni, Juli und September 1983 als die eines Objekts detektierte, dass damals offenbar über den Himmel zog. Die Qualität der Punktquellen ist jedoch wirklich schwach – so schwach, dass auch die Möglichkeit besteht, dass es sich dabei um zufälliges Hintergrundrauschen und Störsignale handelt.
Zugleich weist der Autor auf dem Umstand hin, dass die seit 2008 laufende, wesentlich sensiblere Himmelsdurchmusterung mit dem „Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System” (Pan-STARRS) den IRAS-Kandidaten nicht wiederfinden konnte.
Allerdings, so führt Michael Rowan-Robinson weiter aus, könne man – die drei Punktquellen als echtes Signal vorausgesetzt – aus diesen Informationen über die Quelle extrapolieren, die den postulierten Eigenschaften von Planet Nine zugleich nahekommen.
Sollte es sich also um ein echtes Signal handeln, so hätte der von IRAS detektierte Planet eine Masse von zwischen drei und fünf Erden und einen Sonnenabstand von rund 225 Astronomischen Einheiten (AE = Abstand Erde-Sonne).
Im Vergleich dazu hatten die Planet-Nine-Erstbeschreiber Professor Michael Brown vom California Institute und Technology (Caltech) und Konstantin Batygin im vergangenen August die postulierten Eigenschaften ihres Planeten erneut präzisiert und gelangten auf der Grundlage ihrer neuen, teilweise statistischen zu folgenden Berechnungen: „Planet Nine besitzt eine Masse von 6,2/+2,2/1,3 Erdmassen, eine große Halbachse seiner keplerschen Umlaufbahn von 380/+85/-60 Astronomischen Einheiten (AU = AE = Abstand Erde-Sonne), eine Achsenneigung von 16+/-5 Grad und erreicht seinen sonnennächsten Punkt (Perihelion) bei 300/+85/-60 AE.“
Zumindest anhand der IRAS-Daten lasse sich nun auch eine erste grobe Umlaufbahn des Kandidaten ableiten, auf der dann weitere gezielte Suchen nach dem Objekt durchgeführt werden könnten, so Rowan-Robinson abschließend. Zwar sei die IRAS-Detektion nicht von höchster Qualität, doch eine Suche nach dem möglicherweise dokumentierten Objekt allemal eine weitere Untersuchung innerhalb eines jährlichen Radius von 2,5 bis 4 Grad rund um die Positionen von 1983 wert. Auch eine Überprüfung der Punktquellen in anderen Spektren (Radio usw.) könnten untersuchen, ob diese sich seither tatsächlich bewegt haben oder es sich um stillstehende Punktquellen handelt.
Auf Anfrage äußerte sich auch der Planet-Nine-Beschreiber Professor Michael Brown vom California Institute und Technology (Caltech) gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) angesichts der Ausführungen Rowan-Robinsons sehr zurückhaltend bis kaum überzeugt: „Noch nicht einmal der Autor selbst glaubt daran, dass seine Entdeckung Planet Nine ist.“
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Recherchequelle: ArXiv.org, eigene Recherche www.grenzwissenschaft-aktuell.de
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